FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2023

müssen. Anlass war der Streit zwischen den Töchtern einer Frau, die ein P egefall war. Eine Tochter war laut zweier Patientenver- fügungen, die auf einer weit verbreiteten Vorlage der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern beruht, und einer Vorsorgevoll- macht ermächtigt, in ihrem Namen bei schwererem Dauerschaden des Gehirns „lebensverlängernde Maßnahmen“ zu un- terbinden – in Absprache mit einem Arzt. Als diese Situation eintrat und die Tochter die Maßnahmen nicht stoppte, schritten ihre Schwestern ein. Der BGH stellte in dem Beschluss klar, dass die Vollmacht klar und deutlich sein muss: „Der Text der Voll- macht gemäß Paragraf 1904 Absatz 2 Satz 2 BGB muss hinreichend und klar um- schrieben sein, dass die Entscheidungs- kompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten Maßnahmen bezo- gen ist. Es wird insbesondere Schriftform und eine ausdrückliche Benennung der Maßnahmen gefordert“, so Anwalt Hart- mut Göddecke. Ferner müssten laut Unger medizinische Situationen klar beschrieben werden und klare Anweisungen folgen. Die bloße Äußerung, „keine lebenserhal- tenden Maßnahmen“ zu wünschen, sei kei- ne hinreichend konkrete Behandlungsent- scheidung. Die aufgeführte Behandlungs- situation eines „schweren Dauerschadens des Gehirns“beschreibe keine Gesundheits- situation, von der auf den Willen der Be- tro enen rückgeschlossen werden könne. In einer Folgeentscheidung vom Februar 2017 ruderte der BGH aber in einigen we- sentlichen Punkten zurück. Konkrete Behandlungssituationen in einer Patientenverfügung BGH, 8. 2. 2017, Az. XII ZB 604/15 In dem Folgebeschluss ging es um eine Frau im Wachkoma, die künst- lich ernährt wurde. Sie hatte in einer Patientenverfügung, die auf der gleichen Vorlage wie die im vorherigen Beschluss basierte, ebenfalls gesagt, dass sie keine „le- bensverlängernde Maßnahmen“ wünscht. „Abweichend von der Vorentscheidung sah der BGH den Patientenwunsch nun hin- reichend konkretisiert durch die aufgeführ- te Behandlungssituation, die medizinisch festgestellte fehlende Aussicht auf Wieder- erlangung des Bewusstseins in Zusammen- schau mit der Vorgabe, dass dann die Be- handlung auf die Linderung von Schmer- zen,Unruhe und Angst gerichtet sein solle“, so Unger. Ihr Fazit: „Wichtigste Erkenntnis für die Praxis ist: Es ist dringend anzuraten, Formulare von juristisch quali zierten Au- toren zu verwenden.“ Vollmacht muss ohne Willens- beeinflussung erteilt werden BGH, 29.7.2020, Az. XII ZB 106/20 2020 musste sich der BGH wieder mit der Gültigkeit einer Vollmacht wegen in Zweifel gezogener Ge- schäftsfähigkeit beschäftigen: Ein Mann litt » Die Fortsetzung der medizinischen Lebenserhaltung muss gerechtfertigt sein. « Tanja Unger, Kanzlei Putz Sessel Soukup Steldinger Selbstbestimmungsrecht: Recht auf Krankheit Das Bundesverfassungsgericht ist für große Themen und Fragen zuständig. Dazu gehört auch: Wie steht es um das Selbstbestimmungsrecht psychisch kranker Menschen, die im Maßregel- vollzug sind? Sachverhalt: Ein Mann befand sich seit 2015 im Maßregelvollzug in einem Kranken- haus. Schon zehn Jahre zuvor hatte er in einem Formular erklärt, er habe eine Patientenverfügung getroffen. In einer 2015 erneut schriftlich festge- haltenen Verfügung stellte er – wieder – klar, dass er nicht gegen seinenWillen mit Psychopharmaka behandelt werden wolle. Aufgrund einer Schizo- phrenie beantragte das Krankenhaus aber eine solche Behandlung, die das Landgericht Nürn- berg-Fürth auf Grundlage des damals geltenden einschlägigen bayerischen Landesgesetzes be- willigte. Daher legte der Patient Verfassungs- beschwerde ein: Er sah sein Grundrecht auf kör- perliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz (GG) und seine Menschenwu # rde nach Artikel 1 Absatz 1 GG verletzt. Entscheidung: Das Bundesverfassungs- gericht gab der Beschwerde weitgehend statt. „Staatliche Schutzpflichten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 GG gegenüber einer untergebrachten Person können eine Zwangsbehandlung nicht rechtfertigen, wenn diese die in Rede stehende Behandlung im Zustand der Einsichtsfähigkeit durch eine Patientenverfügung wirksam ausge- schlossen hat“, stellten die Verfassungsrichter klar. Fazit: Auch wenn der Fall eine nicht alltäg- liche Konstellation darstellt, betont er den Stellenwert einer Patientenverfügung. „Diese ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts und zu beachten“, so Rechtsanwältin Simone Uhlig von der Karlsruher Kanzlei 4L Legal. „Eine im Maß- regelvollzug untergebrachte Person darf nicht zu ihrem eigenen Schutz zwangsbehandelt werden, wenn sie die Behandlung im Zustand der Ein- sichtsfähigkeit durch eine Patientenverfügung wirksam ausgeschlossen hat.“ SPEZIAL | VERFÜGUNGEN & VOLLMACHTEN Urteile 334 fondsprofessionell.de 2/2023 FOTO: © PHILIPP WULK | KANZLEI PUTZ – SESSEL – SOUKUP – STELDINGER

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