FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2023

Z u den vielen „Fehlern“, die man als Mensch bei der Geldanlage quasi automatisch macht, zählt auch der „Home Bias“. Gemeint ist damit die Tendenz, den heimischen Kapitalmarkt, ge- messen an seiner tatsächlichen Bedeutung für die Weltwirtschaft, zu hoch zu gewichten. Dass An- leger das tun, ist verständlich.Der Mensch „kauft“, was er kennt, das stimmt im Supermarkt ebenso wie an der Börse. In Unternehmen aus der Hei- mat zu investieren, ist bequemer und erscheint sicherer: Man kennt die Produkte und Leistun- gen, versteht die Unternehmenskommunikation ohne Übersetzung und be ndet sich am selben Rechtsstandort – in Streitfällen kein Nachteil. Solange man in einer Industrienation lebt, die einen tiefen Kapitalmarkt aufweist, mag der „Home Bias“ verzeihlich sein. Ist das aber nicht mehr der Fall, kann es teuer wer- den.Wer Anfang 2000 den Dax Kursindex kaufte, statt ein weltweit diversi ziertes Portfolio auf Basis der MSCI World Index zu erwer- ben, sah eine Dekade keinen Nachteil; vergleicht man die Charts der Indizes, sieht man einen Gleichlauf. Verschiebt man das Zeit- fenster aber um zehn Jahre (2010–2020), steht dem Zehnjahres- ertrag des dividendenlosen Dax von 60 Prozent (Performance Dax: +120%) ein Plus des MSCI World von mehr als 220 Prozent ge- genüber. Da dies primär auf die Outperformance von US-Techno- logieaktien zurückzuführen ist, kann man damit aber leben. Ver- dient wurde mit einigen wenigen Unternehmen, was heißt, dass der hohe Ertrag zulasten einer gesunden Diversi kation erzielt wurde – nachher ist man immer klüger.Nun stehen wir aber mög- licherweise vor einer Entwicklung, die eine Neubewertung nötig machen könnte. Immer mehr Fachleute befürchten, dass in Deutschland ein Deindustrialisierungsprozess läuft. Die Gründe dafür sind bekannt und reichen von der Bürokra- tie über den Fachkräftemangel bis zur Energie- preisproblematik. Führungsteams großer Unter- nehmen erkennen dies natürlich und sind ver- p ichtet, gegenzusteuern. Eine mögliche Antwort heißt Standortverlagerung. Aktien von Firmen, denen das gelingt, bleiben wahrscheinlich weiter- hin gute Investments, vor allem dann, wenn sie den Großteil ihres Geschäfts außerhalb Deutsch- lands machen. Aber was ist mit dem Rest? Ver- lagern mehr Unternehmen ihre Produktion ins Ausland, gehen kurzfristig nicht ersetzbare Arbeitsplätze verloren – ein Wohlstandsverlust droht. Seit dem Angri Russlands auf die Ukraine entwickeln sich MDax und SDax deutlich schwächer als der Leitindex.Nun kann sich die Lage ändern, Deutschlands Wirtschaft hatte auch vor 20 Jahren einen Durchhänger, den die damalige rot-grüne Koalition mithilfe der Agenda 2010 wirksam bekämpfte.Möglich wäre dies auch diesmal, allerdings zeichnet sich das noch nicht ab. Und solange nicht klar ist,wie die weitere Entwicklung aussehen wird,wäre es empfehlens- wert, alle Kundenportfolios auf ihre Sensibilität hinsichtlich der Entwicklung der deutschen Wirtschaft zu prüfen und gegebenen- falls über Neugewichtungen nachzudenken. Wir wünschen Ihnen mit dieser Ausgabe wie immer einen ebenso erfolgreichen wie erholsamen Sommer. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing, Mamdouh El-Morsi Gefährliche Heimattreue Verlagern mehr Unter- nehmen ihre Produk- tion ins Ausland, gehen kurzfristig nicht ersetz- bare Arbeitsplätze verloren – ein Wohl- standsverlust droht. MEINUNG Brief der Herausgeber 4 fondsprofessionell.de 2/2023 FOTO: © MARLENE FRÖHLICH | LUXUNDLUMEN

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