FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2023

leben der erste Rentenbescheid, der auf eine künftige Rentenlücke hinweist.Das ist der Teachable Moment. Als Nächstes wün- sche ich mir ein Instrument, das mir das Problem konkret darstellt und das mir viel- leicht auch schon allgemeine Lösungsmög- lichkeiten aufzeigt. Das ist schon mal inter- aktiv. Immerhin sehe ich etwa bei einem allgemeinen Rentenrechner, was passiert, wenn ich über 20 Jahre monatlich 200 Euro spare. Dann verstehe ich plötzlich auch, was der Zinseszins bewirkt. Der rich- tige Kick ist aber, wenn ich ein Tool habe, das anhand meiner eigenen Daten meine individuelle Situation widerspiegelt, viel- leicht sogar auf Haushaltsebene und sauber nach Steuern, und mir dafür Lösungen aufzeigt, die zu meinen Bedürfnissen und Zielen passen. Das ist die Zukunft. Die Goethe-Universität und das Leibniz- Institut SAFE entwickeln ein solches Tool. Ja, wir arbeiten an einer App, die die oben beschriebenen Überlegungen zusammen- führt.Wir setzen auf ein mobiles Tool, weil es verfügbar sein muss, wenn ein Nutzer gerade Zeit und Lust hat, sich mit einem Finanzthema zu beschäftigen. So wird der Teachable Moment erfasst. Die App ist interaktiv, und der User kann die Inhalte vollständig personalisieren. So kommt all das zusammen, was wir aus der Literatur kennen, so funktioniert Finanzbildung zeit- und problembezogen sowie individuell. Die App ist zu 90 Prozent entwickelt. Bevor wir genauer auf die App zu sprechen kommen, lassen Sie uns einmal die Digita- lisierung an sich betrachten. Kann diese die Finanzbildung fördern? Wir haben derzeit eine große Differenz zwischen der Finanzbildung auf der einen Seite und einer hohen Komplexität der Märkte und der Produkte auf der anderen Seite, die auch regulatorisch bedingt ist. Diese Kluft kann man verringern, indem man den Verbrauchern mehr Bildung an die Hand gibt.Man kann aber auch versu- chen, die Komplexität auf der Angebotssei- te zu reduzieren. Da ist die Digitalisierung ein Segen, denn sie erlaubt, Prozesse zu ver- einfachen. Man muss nur daran denken, wie kompliziert es früher war, ein Wertpa- pier zu kaufen. Das haben die Neobroker und die Onlinebanken extrem vereinfacht. Anleger können heute mit geringeren Fachkenntnissen und mit weniger Wissen um Prozesse viel mehr machen. Das heißt, ein Teil der Finanzbildung ist auch, die Welt weniger komplex zu gestalten. Da- rüber hinaus erlaubt die Digitalisierung, mehr Daten zu sammeln und diese mit besser trainierten Algorithmen in Wissen umzuwandeln. Auch das macht es Verbrau- chern leichter, mit ihren eigenen Finanzen umzugehen. Können auch Berater und Vermittler dazu beitragen, die Finanzbildung ihrer Kunden zu verbessern? Das müssen sie sogar. Denken Sie zum Beispiel an die gestiegenen regulatorischen Vorschriften, die etwa Mi d II mit sich gebracht hat. Diese müssen Berater ihren Kunden erklären, damit tragen sie bereits zur Finanzbildung bei. Das ist aber zeitauf- wendig und damit teuer. Daher wird der- zeit zu Recht der Ruf der Finanzbranche nach mehr nanzieller Bildung lauter.Man wünscht sich eine Klientel, die sich besser auskennt, besonders was den eigenen Fi- nanzstatus angeht, damit Berater nicht alles haarklein erklären und viel Zeit fürs Daten- sammeln aufwenden müssen. Das Ideal wären Kunden, die dem Finanzpro ihr Problem erläutern, sodass er schnell eine passende Lösung anbieten kann. Ein Finanzberater kann dann auch besser die Rolle des „Money Doctor“ einnehmen. Des „Geld-Arztes“? Ja, der Begriff hat sich in der Literatur schon etabliert. Der Berater als Money » Unsere App ist auf jeden Fall auch für Finanzberater ein wichtiges Tool. « Andreas Hackethal, Universität Frankfurt FOTO: © UWE DETTMAR I UNIVERSITÄT FRANKFURT VERTRIEB & PRAXIS | SPEZIAL FINANZBILDUNG Andreas Hackethal | Universität Frankfurt 332 fondsprofessionell.de 4/2023

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