FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2023

Für Maximilian Weiss, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Stuttgarter Kanzlei Weisswert, steht ein anderer Kritikpunkt im Vordergrund. „Die EU-Richtlinie er- laubt ein Opt-out-Modell“, erklärt er. „Aber der deutsche Gesetzgeber hat sich wie schon bei der Musterfeststellungsklage und dem KapMuG mutlos gezeigt und diese Möglichkeit nicht genutzt“, sagt Weiss. Ein Opt-out-Modell ist für Sammelklagen in den USA kennzeichnend (siehe Kasten unten auf dieser Seite). Erst das Opt-out macht die dortige „Class Action“ zu einem wirklich scharfen Schwert. Zumindest ist die jüngste Sammelkla- gen-Variante etwas schärfer als die beiden anderen. Da sie zudem auch Kapitalanle- gerklagen umfasst, stellt sich die Frage, ob überhaupt noch drei Instrumente zur Durchsetzung kollektiver Rechtsansprüche notwendig sind.Die Musterfeststellungskla- ge steht nicht zur Disposition.Die Zukunft des KapMuG hingegen ist ungewiss. „Das Gesetz sollte eigentlich bereits Ende 2020 auslaufen“, sagt Robert Peres, Rechts- anwalt in Berlin und Mitbegründer der Initiative Minderheitsaktionäre.Doch nach- dem die alte Bundesregierung es bis zum 31.Dezember 2023 verlängert hatte, hat die Ampelkoalition dem KapMuG eine weite- re Frist bis Ende August 2024 eingeräumt. „Das spricht dafür, dass der Gesetzgeber das Regelwerk wohl eher überarbeiten wird, als es abzuscha en“, glaubt Peres. Rücktritt vom Verfahren Für diesen Fall hält er einen Punkt für sehr wichtig. „KapMuG-Verfahren ziehen sich oft sehr lange hin. Solange sie laufen, haben mutmaßlich Geschädigte, die daran teilnehmen, keine Chance, auszusteigen und zu ihrer Individualklage zurückzukeh- ren“, erklärt der Experte. Denn: Nach der Erö nung eines KapMuG-Verfahrens wer- den alle anderen Klagen in derselben Sache auf Eis gelegt, neue sind nicht möglich (siehe Kasten vorige Seite). „Daher wäre es gut, wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit des Rücktritts von einem KapMuG-Verfah- ren scha en würde“, ndet Peres. Rechtsanwalt Weiss geht noch weiter. „Optimal wäre es, ein Opt-out-Modell nach dem Vorbild der ‚Class Action‘ einzu- führen“, sagt er. „Ich bin aber überzeugt, dass es dazu im nächsten Jahr noch nicht kommen wird“, so Weiss. Sollte es eines Tages jedoch so weit sein, dann hätte das KapMuG in der Gesetzeswelt auf jeden Fall drei Chilischoten verdient. ANDREA MARTENS FP » Der Gesetzgeber wird das KapMuG wohl eher überarbeiten, als es abzuschaffen. « Robert Peres, Rechtsanwalt in Berlin US-Sammelklagen und die neue EU-Gesetzgebung Class Action: In den USA gibt es seit vielen Jahren echte Sammelklagen. Im Vergleich zum deutschen KapMuG-Verfahren lassen sich zahl- reiche Unterschiede erkennen. So ist es etwa möglich, einen Beklagten zur Her- ausgabe von belastendem Beweisma- terial zu zwingen, was in Deutschland nicht vorgesehen ist. Auch entscheiden hierzulande keine Geschworenen über den Ausgang eines Verfahrens. Der zentrale Unterschied zwischen der US- Sammelklage „Class Action“ und dem KapMuG ist jedoch das Opt-out-Modell. Dabei wird zunächst eine bestimmte Gruppe von mutmaßlich Geschädigten, die „Class“, definiert. Alle Personen und Unternehmen, die unter diese Definition fallen, gehören automatisch zur Class. Da die Gruppe der mutmaßlich Geschädigten damit sehr groß ausfällt, baut sich enormer Druck auf den Beklagten auf. Ergeht ein Urteil, steht den Geschädigten Schadenersatz zu, ohne dafür vor Gericht ziehen zu müssen. Darum machen Beklagte oft üppige Angebote für Vergleiche, von denen alle Geschädigten profitieren. Europäische Richtlinie: Die EU- Richtlinie 2020/1828 über Verbands- klagen ist am 24. Dezember 2020 in Kraft getreten. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mussten sie bis zum 24. De- zember 2022 in nationales Recht umsetzen, seit dem 25. Juni 2023 sind die Vorgaben anzuwen- den. In Deutschland hat der Bundesrat der Richt- linie allerdings erst am 29. September 2023 den Weg zur Umsetzung geebnet. Das EU-Regelwerk sieht weitreichende Möglichkeiten für Sammel- klagen vor. So können „qualifizierte Institutionen“ wie Verbraucherverbände für Geschädigte künftig kollektiv klagen. Die Organisationen müssen von den Behörden ihres Mitgliedsstaates als klage- berechtigt anerkannt sein, dürfen nicht gewinn- orientiert arbeiten und müssen Rechenschaft da- rüber ablegen, wie sie eine Sammelklage finan- zieren. Die Institutionen dürfen direkt auf Leistung, unter anderem auf Schadenersatz, klagen. Die Sammelklagen sind auch für Kapitalanlegerver- fahren zulässig. Qualifizierte Einrichtungen aus den EU-Mitgliedsstaaten können für grenzüber- schreitende Verbandsklagen klagebefugt sein. Die Richtlinie lässt ein Opt-out-Modell zu. STEUER & RECHT Sammelklagen 440 fondsprofessionell.de 4/2023 FOTO: © DANIEL BISKUP

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