FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2023

Bei deutschen Aktiengesellschaften kommt das Gesetz gut an. Das überrascht nicht. Da nur der Versammlungsleiter, der Vorstand und je nach Satzung der Auf- sichtsratsvorsitzende am Ort der HV phy- sisch anwesend sein müssen, können sich andere Manager nervenaufreibende oder öde Präsenzversammlungen sparen. So sind 2023 nach Angaben des deutschen Fondsverbands BVI denn auch nur 73 der 160 in der Dax-Familie vertretenen Aktien- gesellschaften zur HV nach alter Fasson zurückgekehrt. Bizarre Überschneidungen Die große Zahl der rein virtuellen Aktio- närstre en hat dem BVI zufolge zum Teil auch zu bizarren zeitlichen Überschnei- dungen geführt. So haben etwa am 17.Mai 2023 insgesamt 21 im H-Dax vertretene Unternehmen ihre Hauptversammlung ab- gehalten. Zudem bemängelt der Verband ebenso wie die Aktionärsschützer DSW und SdK die zahlreichen Technikpannen. „Ein echter Dialog zwischen Aktionären, Vorstand und Aufsichtsrat konnte bei den Online-Hauptversammlungen 2023, deren technische Durchführung häu g zu wün- schen übrigließ, nicht statt nden“, erklärt BVI-Hauptgeschäftsführer Thomas Richter. Das habe die HV als oberstes Kontroll- organ und Sprachrohr der Aktionäre weiter entwertet. Und wie stehen die Fondsgesellschaften als Großaktionäre zur virtuellen HV? „Das virtuelle Format kommt bei Weitem nicht an das Präsenzformat heran und zeichnet sich bei sehr vielen Unternehmen vor allem durch eines aus: technische Fehler“, kritisiert Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investments. In der Tat wurden einer Stu- die der DSW zufolge in der Hauptver- sammlungssaison 2023 bei 32 Prozent der virtuellen Veranstaltungen technisch be- dingte Störungen protokolliert. Nicht zukunftsfähig „Diese Aussage deckt sich mit unseren Erfahrungen“, so Speich. Und er erkennt ein weiteres Manko der digitalen HV: „Es fehlt einfach daran, dass man die Stim- mung im Saal aufnehmen und daraus Erkenntnisse ableiten kann“, sagt er. „Das virtuelle Format ist in der derzeitigen Version nicht zukunftsfähig.“ Auch Vanda Rothacker, Corporate-Go- vernance-Expertin bei Union Investment, zeigt sich höchst unzufrieden. „Die vergan- gene Hauptversammlungssaison war auf- grund der enormen technischen Schwie- rigkeiten bei einigen Unternehmen eine Zumutung für die Aktionäre“, sagt sie. „Wir hatten zum Teil Probleme bei der Einwahl, bei der Zuschaltung der Redner und mit der Tonqualität“, berichte Rothacker. Nicht nur technische Probleme Doch allein die Technik ist nicht der Grund für ihre Kritik. „Wir konnten wegen der Terminkollisionen nicht auf allen Hauptversammlungen sprechen, auf denen wir dies gern getan hätten“, bemängelt Rothacker. „Außerdem wollen wir die Stimmung in der Halle spüren und keine Distanz durch eine virtuelle Wand.“ Bleibt von den vier großen deutschen Investmentgesellschaften noch die DWS, denn Allianz Global Investors teilte auf An- frage von FONDS professionell mit, sich zum Thema virtuelle HV nicht äußern zu wollen. Die Fondstochter der Deutschen Bank machte auf den 14 digitalen Haupt- versammlungen deutscher Aktiengesell- schaften, die sie 2023 besuchte, keine so schlechten Erfahrungen mit der Technik. Verzögerungen und Ausfälle „In Einzelfällen gab es bedauerlicher- weise Verzögerungen und Ausfälle, von de- nen wir allerdings nicht betro en waren“, sagt DWS-Corporate-Governance-Experte Hendrik Schmidt. „Inhaltlich haben wir jedoch festgestellt, dass sich einzelne Aktio- näre in ihren Redebeiträgen teils deutlich von der Tagesordnung entfernt haben“, berichtet er. Im Interesse aller Aktionäre wäre in solchen Fällen eine konsequentere Versammlungsleitung wünschenswert ge- wesen, ndet Schmidt. Das wird vielleicht besser laufen, sofern Karl von Rohr auch im kommenden Jahr die Aktionäre wieder rein virtuell begrüßt. ANDREA MARTENS, SEBASTIAN ERTINGER FP Ingo Speich, Deka: „Es fehlt einfach daran, dass man die Stimmung im Saal aufnehmen und daraus Erkenntnisse ableiten kann.“ Hendrik Schmidt, DWS: „In Einzelfällen gab es bedauerlicherweise Verzögerungen und Ausfälle, von denen wir allerdings nicht betroffen waren.“ fondsprofessionell.de 4/2023 443 FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH | DEKA, JAY J. RUBINIC | DWS

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