FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2024
Überraschendes Urteil Union Investment will im Wirecard-Insolvenzverfahren Verluste geltend machen – als Aktionär. Das geht, urteilte das Oberlandes- gericht München. Doch noch ist der Fall nicht endgültig entschieden. B eim Bäcker, beim Metzger oder an der Käsetheke: Immer wieder kommt es vor, dass sich ein eiliger Kunde ganz nach vorn drängelt, um vor allen anderen seinen Einkauf zu erledigen. „Hey, hinten anstellen!“, heißt es dann oft von denen, die brav warten, bis sie an der Reihe sind. Hinten anstellen müssen sich auch Aktionäre, wenn sie in ein Unternehmen investiert haben, das in die Pleite geschlit- tert ist. Die Insolvenzordnung legt fest, in welcher Reihenfolge die Ansprüche von Geschädigten zu befriedigen sind. Gläubi- ger, etwa Kreditgeber oder Lieferanten, kom- men zuerst.Aktionäre müssen nehmen, was übrig bleibt. Meist gehen sie leer aus. Doch im Fall des im Juni 2020 zusam- mengebrochenen Zahlungsabwicklers Wirecard könnte die Sache anders ausse- hen. Denn im Verfahren zwischen dem Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé und dem Frankfurter Asset Manager Union Investment gab das Oberlandesge- richt (OLG) München der Fondsgesell- schaft recht (Az.: 5 U 7318/22 e). Zwar hat Jaffé Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Sollten die Karlsruher Richter das Münchner Urteil aber bestäti- gen, hätte die Entscheidung Ausstrahlkraft auf alle anderen Aktionäre, die Ansprüche geltend gemacht haben, also auch auf die eine oder andere Fondsgesellschaft. Wie viele Fondsanbieter hatte auch Union Investment in Wirecard-Aktien investiert. Als infolge der Insolvenz der Kurs des Papiers in den Keller stürzte, verloren Fondsanleger aus dem genossenschaft- lichen Sektor Millionen. Den Schaden will Union Investment beim Insolvenzverwalter genauso geltend machen können wie die Gläubiger. Schließlich sei sie ebenso wie diese durch die falschen Bilanzen der Fir- ma getäuscht worden, so das Argument. Die erste Entscheidung Geht nicht, hatte vor knapp zwei Jahren das Landgericht München entschieden. Die Richter folgten damals Jaffés Argu- mentation, die auf einem grundsätzlichen Unterschied zwischen Gläubigern und Ak- tionären fußte: Gläubiger, etwa Kreditgeber oder Lieferanten, hätten einem insolventen Unternehmen eine Leistung gewährt, dafür aber keine Gegenleistung erhalten. Wenn ein Investor Aktien einer Firma kaufe, habe diese dadurch erst einmal keinen Vorteil. Für vorrangige Ansprüche im Insolvenz- verfahren fehle daher die Grundlage. Das Urteil des Landgerichts München folgt damit nicht der Insolvenzordnung. „Paragraf 38 regelt eindeutig, dass die Insol- venzmasse zur Befriedigung der persönli- chen Gläubiger dient, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens be- gründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben“, erklärt Martin Kühler, Partner der Anwaltskanzlei Tilp aus Kir- chentellinsfurt. Paragraf 39 listet auf, welche » Das Urteil des BGH entfaltet Wirkung für alle anderen geschädig- ten Aktionäre. « Peter Mattil, Mattil & Kollegen Die Waage der Justitia: Nicht immer sind Gerichtsurteile für Laien ver- ständlich, zuweilen erscheinen sie nicht gerecht. Ehemalige Wirecard- Aktionäre dürften sich allerdings über ein aktuelles Urteil freuen. STEUER & RECHT Wirecard 448 fondsprofessionell.de 4/2024 FOTO: © CORGARASHU | STOCK.ADOBE.COM
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