FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2024

Warum die Inflation nicht mehr aus dem Ruder laufen, aber auch nicht verschwinden dürfte, ob Unternehmen die Zinslast stemmen und warum Anleihen wie ein Elektroauto sein können, erläutert Gurpreet Gill von Goldman Sachs Asset Management . Ü ber die vergangene Dekade hinweg schienen die Rentenmärkte ange- sichts der Niedrigzinsen unattraktiv. Doch das hat sich in den vergangenen beiden Jahren bekanntlich grundlegend gewan- delt. Welche Entwicklungen bei Inflation, Leitzinsen und Bondrenditen zu erwarten sind, erläutert Gurpreet Gill, Makrostrate- gin für Anleihen bei Goldman Sachs Asset Management, im Interview. Frau Gill, Finanzmarktteilnehmer treibt eine Frage besonders um: Wie entwickelt sich die Inflation – und was bedeutet das für die Geldpolitik? Wie lautet Ihre Prognose? Gurpreet Gill: Erstmals seit zwei Jahren zeigt sich bei der Entwicklung der Teuerungs- raten ein ausgewogeneres Bild. Dies stellt die Notenbanken vor einen Balanceakt. Sie jonglieren zwischen dem Risiko eines Kon- junkturabschwungs einerseits und einem anhaltenden Inflationsdruck andererseits. In den vergangenen beiden Jahren muss- ten sich die Währungshüter hingegen lediglich auf die Eindämmung der hohen Teuerungsraten konzentrieren. Die Inflation können wir also noch nicht abhaken? Nein, noch nicht ganz. Die Inflationsraten sind zwar in greifbare Nähe der Zielgrößen der Zentralbanken gerückt, doch wie heißt es so schön: Die letzte Meile des Wegs ist die schwerste. Andererseits zeichnen sich für die nächsten Monate zahlreiche Ein- flussfaktoren ab, die dämpfend auf die Inflation wirken. Angebot und Nachfrage auf den Warenmärkten gleichen sich lang- sam aus. Manche Preise verändern sich auch erst mit Verzögerung, etwa bei der Auto- oder der Krankenversicherung. Hier braucht es einige Zeit, bis die Inflation durchgesickert ist – aber eben genauso dis- inflationäre Tendenzen. Angesichts eines sich abzeichnendenWirtschaftsabschwungs haben die Unternehmen auch keine so starke Preissetzungsmacht mehr wie noch während der Corona-Pandemie. Steigende Löhne und Gehälter könnten die Inflation aber wieder anfeuern. Der Lohnanstieg wird voraussichtlich hö- her sein als im vorherigen Konjunktur- zyklus. Damals waren die Teuerungsraten aber auch extrem niedrig. Das Ziel ist, die Lohnsteigerungen mit durchschnittlich dreieinhalb Prozent im Rahmen zu halten. Diese Steigerung ist mit dem Inflationsziel der Notenbanken von zwei Prozent verein- bar. Ich denke daher, dass sich letztendlich die Teuerungsraten normalisieren. Sie wer- den voraussichtlich nicht unter zwei Pro- zent fallen, aber auch nicht mehr so aus dem Ruder laufen wie vor zwei Jahren. Eine Rückkehr in die Phase der sehr gerin- gen Inflation und Nullzinsen droht also auch nicht? Nein, denn strukturelle Veränderungen werden die Inflation antreiben, etwa die Alterung der Gesellschaft und die daraus resultierende Verringerung der Erwerbstäti- genzahl. Weitere preistreibende Faktoren sind der Umbau der Lieferketten aufgrund der Deglobalisierung imWarenhandel und die Transformation zu erneuerbaren Ener- gien. In den Daten spiegeln sich solche Effekte noch nicht wider. Es gibt noch keine „grüne“ Inflation. Dennoch haben „Die Notenbanken stehen vor einem Balanceakt “ » Wie heißt es so schön: Die letzte Meile des Wegs ist die schwerste. « Gurpreet Gill, Goldman Sachs AM MARKT & STRATEGIE Gurpreet Gill | Goldman Sachs Asset Management 118 fondsprofessionell.de 1/2024

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