FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2024

Trotz der aktuell ausgeprägten Schwächephase der Konjunktur ändert sich nur wenig an den Wachstumsaussichten für Europa und Deutschland über die gesamte Dekade hinweg. Davon ist Thomas Kruse , CIO von Amundi Deutschland , überzeugt. A usdauer scheint eine besondere Stärke von Thomas Kruse zu sein. Immerhin steht er seit über 24 Jahren in Diensten von Amundi Deutschland. Als Mitglied der Geschäftsführung übernimmt er dabei die Rolle des Chefanlagestrategen. Im Interview haben wir mit ihm über sei- ne Erwartungen hinsichtlich der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutsch- land gesprochen. Unsere Volkswirtschaft sieht er zwar vor einer Vielzahl von Heraus- forderungen, die zuletzt wieder aufgetauch- te Formel vom „kranken Mann Europas“ hält er allerdings für übertrieben. Herr Kruse, beunruhigt es Sie, wenn in letzter Zeit mit Bezug auf Deutschland im- mer häufiger von Stagflation die Rede ist? Thomas Kruse: Beunruhigen wäre das fal- sche Wort. Etwas nüchterner betrachtet durchleben wir gerade eine Entwicklung, in der zum einen die Inflation zwar wei- ter zurückgeht, aber eben nicht in der Geschwindigkeit und dem Ausmaß, wie es viele noch Ende des vergangenen Jahres erwartet hatten. Gleichzeitig wächst die Wirtschaft sehr langsammit Raten, die nur leicht über der Nulllinie liegen. Das sind zwei Zutaten, die den einen oder anderen reflexartig auf Stagflation schließen lassen. Aber kann das verwundern? Immerhin ha- ben die Wirtschaftsforscher jüngst reihen- weise ihre Konjunkturprognosen deutlich nach unten revidiert. Ich glaube, dass inzwischen jeder verstan- den hat, dass Europa und insbesondere Deutschland vor einer Vielzahl von struk- turellen Herausforderungen stehen in einer Zeit, die von einer ganzen Reihe gleichzei- tig auftretender krisenhafter Entwicklun- gen geprägt ist. Besonders hervorzuheben sind dabei meiner Ansicht nach zwei Aspekte: Zum einen machen einer enorm energieintensiven Volkswirtschaft wie Deutschland natürlich die stark gestiege- nen Kosten in diesem Bereich besonders zu schaffen. Gleichzeitig leiden wir als sehr stark ausfuhrorientierter Standort deutli- cher als andere Länder unter einem rück- läufigen Exportgeschäft, insbesondere im bilateralen Handel mit China, das sich an- gesichts eines nach wie vor schwächelnden Immobilienmarktes stärker auf die Stüt- zung seines Binnenmarktes konzentriert. Daher war es überfällig, die Prognosen für die im laufenden Jahr zu erwartende Wirt- schaftsentwicklung entsprechend anzu- passen, wenn man feststellt, dass man mit seinen Annahmen im vierten Quartal 2023 wohl etwas zu euphorisch war. Wovon geht Amundi aus? Auf Deutschland bezogen rechnen wir mit einem Wachstum von 0,2 Prozent im lau- fenden Jahr und 0,7 Prozent im kommen- den Jahr. Für Europa insgesamt liegen unsere Erwartungen einen Tick höher, bei 0,3 Prozent für 2024 und einem Prozent für 2025 … … was natürlich im Endeffekt Zahlen sind, die sich in beiden Fällen deutlich unterhalb des eigentlich zu erwartenden Potenzials bewegen. „Zugangsmöglichkeiten zum Kapitalmarkt schaffen“ » Das sind Zutaten, die den einen oder anderen reflexartig auf Stagfla- tion schließen lassen. « Thomas Kruse, Amundi Deutschland MARKT & STRATEGIE Thomas Kruse | Amundi Deutschland 142 fondsprofessionell.de 1/2024

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