FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2024

bestimmte für die Fertigung benötigte Kabelbäume nicht mehr liefern konnte. Worauf müssen wir uns einstellen? Auf eine Veränderung oder, besser gesagt, eine Dezentralisierung von Wertschöp- fungsketten. Unternehmen werden künftig eher bereit sein, höhere Produktions- und Beschaffungskosten in Kauf zu nehmen, um im Fall von auch künftig möglichen Krisen weniger abhängig zu sein von even- tuell nur einem oder wenigen Lieferanten. So wird im Zuge einer strategischen Auto- nomie Europas und aus Gründen der eige- nen Versorgungssicherheit wieder mehr in der Region produziert werden. Geben Sie uns ein Beispiel? Denken Sie nur an die Halbleiterindustrie. Unternehmen wie Infineon oder STMicro- electronics zeigen uns doch, dass nicht nur Taiwan in der Lage ist, hervorragende Halb- leiter zu produzieren. Und auch wenn in Deutschland keine der als „Magnificent Se- ven“bekannten US-Firmen ansässig ist, soll- te man nicht unterschätzen, dass wir andere Stärken haben, die wir ausspielen können. Speziell im deutschen Mittelstand finden sich einige Unternehmen, die nicht ohne GrundWeltmarktführer sind.Um das noch stärker zu fördern, braucht es einerseits die Bereitschaft zu mehr Technologieoffenheit, zu mehr Innovationsfreude und nicht zu- letzt gute Ausbildungsmöglichkeiten … … und andererseits? Eine stärkere Förderung der Zugangsmög- lichkeiten von Unternehmen zum Kapital- markt.Wir haben zwar hierzulande eine in Teilen schon gut funktionierende Start-up- Szene. Für eine wirkliche Transformation braucht es aber mehr, damit mehr privates Geld in die Finanzierung notwendiger In- vestitionen auf Unternehmensseite fließen kann. Andere Länder und insbesondere die USA sind uns da weit voraus. Aber müssteman dann nicht auch Schluss machen mit einem sturen Festhalten an der Schuldenbremse, wie es einige renom- mierte Ökonomen und inzwischen sogar dieWirtschaftsweisen fordern? Das Thema Schuldenbremse muss man meiner Ansicht nach aus zwei unterschied- lichen Blickwinkeln betrachten, einer abso- luten und einer relativen Perspektive. In der absoluten Betrachtung halte ich es für durchaus sinnvoll, einen Mechanismus Schuldenbremse zu haben, schon um zu verhindern, dass unsere Staatsverschuldung über die Jahre zu stark ausufert. Ein Defi- zitniveau von 130 Prozent des BIP, wie es inzwischen Länder wie die USA oder Ita- lien aufweisen, kann nicht gesund sein für eine Volkswirtschaft. Dennoch müssen wir uns fragen, ob Deutschland mit einer ver- gleichsweise sehr niedrigen Staatsverschul- dung von aktuell knapp 60 Prozent des BIP und einer maximal zulässigen Netto- kreditaufnahme von 0,35 Prozent des BIP nicht Gefahr läuft, etwas zu verpassen im Wettbewerb mit anderen Ländern, wenn dadurch dringend benötigte Investitionen eventuell unterbleiben müssen. Und wie sieht die relative Betrachtung aus? Ich denke schon, dass wir eine Art Neu- strukturierung der Schuldenbremse benö- tigen. Der Vorschlag, zwischen einem kon- sumtiven und einem investiven Teil zu un- terscheiden, hat durchaus etwas für sich, weil man dadurch an Granularität und damit Flexibilität gewinnen würde. Kaum einer wird doch bezweifeln, dass wir eine höhere Wachstumsdynamik an unserem Standort benötigen, und das gerade in einer Phase, wie wir sie aktuell erleben. Sonst laufen wir Gefahr, aufgrund einer all- zu strikt eingehaltenen Schuldenbremse am Ende gehörig an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Ländern mit deutlich laxeren Schuldenregeln einzubüßen. Dem einfachen Umwidmen von eventuell nicht mehr benötigten Sonderhaushalten hat das Verfassungsgericht aber gerade eine klare Absage erteilt … …und das aus meiner Sicht auch vollkom- men zu Recht, weil man damit gegen gel- » Ich denke schon, dass wir eine Art Neustruktu- rierung der Schulden- bremse benötigen. « Thomas Kruse, Amundi Deutschland FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH MARKT & STRATEGIE Thomas Kruse | Amundi Deutschland 144 fondsprofessionell.de 1/2024

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