FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2024

Der langjährige Wirtschaftsweise Peter Bofinger sieht das deutsche Geschäftsmodell in großer Bedrängnis. Im Interview mit FONDS professionell fordert der Topökonom ein engagiertes Eingreifen des Staates, um das Land für die Zukunft aufzustellen. V on 2004 bis 2019 und damit so lange wie kein anderer Ökonom beriet der Würzburger Wirtschaftsprofessor Peter Bofinger als einer der fünf „Wirtschafts- weisen“die Bundesregierung in wirtschafts- politischen Fragen. Oft vertrat der nach- frageorientierte Wirtschaftsforscher dabei eine Minderheitsmeinung, etwa wenn es um die Einführung von „Hartz IV“ ging oder um die Verankerung der Schulden- bremse im Grundgesetz. Angesichts von Transformation, Digitalisierung und enor- men staatlichen Subventionen in den USA und China sieht Bofinger die deutsche Politik heute noch stärker in der Pflicht, die Weichen für eine Neuausrichtung der Wirtschaft zu stellen. Nicht nur die von ihm kritisierte Schuldenbremse steht dabei im Weg. Vor allem vermisst Bofinger eine politische Vision für die Zukunft. Herr Bofinger, die deutscheWirtschaft wird auch dieses Jahr höchstensminimal wach- sen, und in internationalen Standort-Ran- kings ist Deutschland zuletzt regelrecht abgestürzt. Ist unser Wohlstand in Gefahr? Peter Bofinger: Den Wohlstand sehe ich noch nicht in Gefahr. Tatsache ist aber, dass die deutsche Wirtschaft seit 2019 im Ergeb- nis nicht gewachsen ist, im Gegensatz zu allen anderen EU-Mitgliedsstaaten. Am Ende dieses Jahres werden wir also auf fünf Jahre Stagnation zurückblicken. Wir müs- sen uns ernsthaft fragen, warum das so ist. Und wie lautet Ihre Diagnose? Bürokratie, Regulierung und die Steuer- belastung sind sicher Probleme. Wenn wir aber das schwache Wachstum nur damit erklären, übersehen wir die tieferliegenden Ursachen, die mit dem Kern des deutschen Geschäftsmodells zusammenhängen. Unse- re Wirtschaft ist rund um die Automobil- industrie, den Maschinenbau und die Che- miebranche aufgebaut. Damit sind wir in den Jahrzehnten der Globalisierung sehr gut gefahren. Die Globalisierung hat aber ihren Zenit überschritten und die Energie- preise steigen. Kurzum: Unser Geschäfts- modell gerät an allen Ecken unter Druck, und wir sind in Innovation und digitalen Industrien relativ schwach. Uns fehlt ein neuer Wachstumsmotor. Mit ihrer neuen Industriepolitik bezuschusst die Bundesregierung etwa die Intel-Ansied- lung in Magdeburg mit rund drei Millionen Euro für jeden der 3.000 geplanten Arbeits- plätze. Ist das der richtigeWeg? Ich finde es wichtig, diese Ansiedlungen zu fördern. Intel erhält Subventionen in Höhe von zehn Milliarden Euro, investiert aber insgesamt 30 Milliarden Euro in Magde- burg. Neben den 3.000 Hightech-Arbeits- plätzen sollen in der Bauphase und 7.000 Arbeitnehmer im Baugewerbe beschäftigt werden. Ein Land, das beim Subventions- wettlauf nicht mitmacht, hat von vorn- herein verloren. Es gibt Ökonomen, die „Mir fehlt eine strategische Vision für Deutschland“ » Der Weg zu einer modernen und digitalen Wirtschaft gelingt nicht von allein. « Peter Bofinger, Universität Würzburg MARKT & STRATEGIE Peter Bofinger | Universität Würzburg 154 fondsprofessionell.de 1/2024

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