FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2024

protestiert. Letztlich verhindert die Schul- denbremse, dass der Staat als Investor tätig werden kann, indem er rentable Investitio- nen mit Krediten finanziert, wie das auch jedes vernünftige Unternehmen macht. Die Politik hat damals nicht auf Ihre War- nungen gehört. Hoffnung macht mir die Zeitenwende in der deutschen Wirtschaftswissenschaft. Auch konservative Ökonomen sprechen sich mittlerweile dafür aus, dass der Staat Investitionen, die über die Abschreibungen hinausgehen, über Schulden finanzieren sollte. Selbst das Gutachten des Wirtschaft- lichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz – der Grals- hüter der Marktwirtschaft – plädiert ein- stimmig für einen solchen Ansatz. Auch der Sachverständigenrat hat sich für mehr Spielräume bei der Schuldenbremse aus- gesprochen. Würde das die Probleme lösen? Es wäre ein Beitrag.Was ich, ehrlich gesagt, völlig vermisse, ist eine strategische Vision für Deutschland. Dass sich die Politik über- legt, wo man eigentlich in zehn Jahren ste- hen will und wie der Weg dorthin aus- sehen soll. Dieser Herausforderung sollte sich die Politik stellen und dann auch die zukunftsweisenden Bereiche unterstützen. Der Staat sollte wie ein Venture-Capital- Geber handeln und investieren. Und wenn von zehn großen Zukunftsfeldern drei danebengehen, bleiben immer noch sie- ben, die zum Erfolg führen können. Von den Visionen zur Geldpolitik, die sich gerade ausdrücklich an den Daten orien- tiert. Werden kommende Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) der Wirtschaft zumindest etwas helfen? Der Konjunktur wird das sicher helfen.Die gute Nachricht ist, dass die Inflation wieder unter Kontrolle ist. Viele Leute glaubten ja, dass sie unter anderem wegen der Dekar- bonisierung dauerhaft höher bleiben wür- de.Marcel Fratzscher vomDeutschen Insti- tut für Wirtschaftsforschung (DIW) forder- te sogar, das Ziel auf drei Prozent zu erhö- hen oder es ganz aufzugeben. Das ist so, als ob man im Kampf gegen den Klimawan- del die Thermometer neu normieren wür- de. Das Inflationsziel hat ja eine Logik, Preisstabilität ist wichtig als Maßstab. Wie bewerten Sie die Bilanz der EZB – erst im Kampf gegen Deflation und jetzt gegen die Inflation? Die aktuelle Geldpolitik ist von einer ge- wissen Schlichtheit getragen. Man handelt erst, wenn die Daten ganz eindeutig sind. Da war die Geldpolitik von Mario Draghi deutlich vorausschauender. Das Mantra der datenbasierten Geldpolitik unter Christine Lagarde führt dazu, dass man erst reagiert, wenn es schon fast zu spät ist. Die Zinser- höhung im September 2021 war eindeutig zu spät, und das aktuelle Risiko ist natür- lich, dass die Geldpolitik nach der dama- ligen Erfahrung die Zinsen länger hoch belässt, als nötig wäre. Das wäre derselbe Fehler in die entgegengesetzte Richtung. Vielen Dank für das Gespräch. JOCHEN HÄGELE FP » Letztlich verhindert die Schuldenbremse, dass der Staat als Investor tätig werden kann. « Peter Bofinger, Universität Würzburg KURZ-VITA: Peter Bofinger Peter Bofinger ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Würzburg. Von 2004 bis 2019 war der nachfrage- orientierte Ökonom Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. FOTO: © NIKOLA HAUBNER MARKT & STRATEGIE Peter Bofinger | Universität Würzburg 156 fondsprofessionell.de 1/2024

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