FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2024

heit versuchen, die Effekte und Auslöser genauer zu erforschen. Die noch Ende 2023 herrschende Euphorie in Bezug auf Zeitpunkt und Anzahl entspre- chender Zinssenkungen hat aber zuletzt doch einen Dämpfer erfahren? Das ist ohne Zweifel der Fall. Auf ihrer jüngsten Sitzung im März hat die EZB ihren abwartenden geldpolitischen Kurs bestätigt und damit der Erwartung einer frühen Zinssenkung erneut eine Absage erteilt. Allerdings hat sie ihre Prognosen für Konjunktur und Inflation nach unten revi- diert und sieht die Teuerung nun bereits 2025 bei durchschnittlich zwei Prozent. Auch die Einschätzung zur Lohnentwick- lung war etwas optimistischer. So hat Christine Lagarde erstmals implizit die Juni-Sitzung als den Moment genannt, an dem genug Daten vorliegen würden, um die Lohndynamik ausreichend sicher ein- schätzen zu können. Aber bedeutet eine „datenorientierte“ Poli- tik, die die Notenbanken stets betonen, nicht im Rückschluss, dass sie im Grunde immer zu spät dran sind, weil sie die Wir- kung ihrer Maßnahmen abwartenmüssen? Dieses Risiko besteht latent immer. Ohne- hin ist die Wahrscheinlichkeit relativ ge- ring, dass die Notenbanken mit einem Feintuning der Zinsen die optimalen Zins- niveaus erreichen, um die Wirtschaft sozu- sagen genau auf ihrem normalen Pfad zu halten oder sie eben wieder dorthin zu- rückzuführen. Entsprechend übersteuern Notenbanken klassischerweise in beide Richtungen, sowohl bei Zinsanhebungen als auch bei Zinssenkungsmaßnahmen. Das Feintuning gelingt nur extrem selten wirklich gut. Das liegt in erster Linie an dem Phänomen, das Sie beschreiben, wodurch die Notenbanken ihre Geld- politik immer in gewisser Weise mit dem Blick in den Rückspiegel steuern. Volks- wirtschaftliche Daten beschreiben nun ein- mal vor allem die Entwicklung in der Ver- gangenheit. Und die sogenannten Frühindikatoren? Mit diesen Faktoren versucht man zwar näher dran zu sein an der Gegenwart, um mögliche Entwicklungen in der Zukunft besser einschätzen zu können. In der Ge- samtschau ändert aber auch das nichts da- ran, dass Wirtschaftsdaten rückwärtsgerich- tet sind. Dummerweise haben Notenban- ken eigentlich keine wirkliche Alternative zu dieser Herangehensweise. Denn die ein- zige andere Möglichkeit wäre ja eine Fokus- sierung auf die eigenen Prognosen. Und die Historie zeigt nun einmal, dass eine Geldpolitik rein auf Basis von Prognosen keine wirklich gute Idee ist.Weder die No- tenbanken noch Ökonomen oder Analys- ten sind besonders gut darin, die künftige Entwicklung von Konjunktur und Preisen zyklisch genau vorherzusagen. Auch die jüngste Entwicklung hat erneut gezeigt, dass vielmehr das Gegenteil der Fall ist. Worauf spielen Sie an? Dass es kein neues Phänomen ist, dass die Marktteilnehmer mit entsprechenden Prognosen in aller Regel falschliegen. Sie haben eben die Euphorie angesprochen, die noch vor wenigen Monaten das Ge- schehen an den Märkten beherrscht hat. Einen ersten Zinssenkungsschritt der No- tenbanken hatten viele bereits für März auf dem Zettel. Und von möglichen sechs wei- teren Schritten wurde gesprochen. Inzwi- schen wissen wir, dass aus all dem nichts werden wird. Denn auch die amerikani- sche Notenbank hat signalisiert, dass frü- hestens in den Sommermonaten mit den ersten Maßnahmen zu einer Senkung der Zinsen in den USA zu rechnen sein wird. Zudemwerden es wahrscheinlich eher drei statt der ursprünglich erwarteten sechs Schritte, die darauf noch bis zum Jahres- ende folgen werden. Auch das ist aber natürlich nicht sicher. Denn die Dynamik spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. » Der Erwartung einer frühen Zinssenkung hat die EZB im März erneut eine Absage erteilt. « Johannes Mayr, Eyb & Wallwitz FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH MARKT & STRATEGIE Johannes Mayr | Eyb & Wallwitz 162 fondsprofessionell.de 1/2024

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