FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2024
Ketten reaktion Die Herstatt-Pleite erschütterte vor 50 Jahren die Finanzwelt. Als Reaktion entstand ein System, das Devisengeschäfte absichert. Der Fondsverband Efama sieht diesen Mechanismus bedroht. A uf den ersten Blick hat der Unter- gang einer deutschen Privatbank in den 1970er-Jahren wenig mit der Welt der Publikumsfonds zu tun. Der europäische Fondsverband Efama fürchtet allerdings mit Blick auf eine regulatorische Änderung in den USA die Gefahr von Verwerfungen wie nach der Pleite der Kölner Herstatt- Bank im Jahr 1974. Doch der Reihe nach: In Nordamerika steht im Wertpapierhandel Ende Mai eine technisch klingende, aber bedeutsame Änderung an: Die US-Börsenaufsicht SEC verkürzt die Frist für die Abwicklung von Wertpapiergeschäften von zwei Tagen auf nur noch einen Tag. Im Finanzjargon wird dies als Wechsel von T+2 auf T+1 tituliert. Die SEC begründet den Schritt mit der fortgeschrittenen Technologisierung; Kana- da und Mexiko ziehen mit. Diese Fristverkürzung reißt aufgrund der Zeitverschiebung insbesondere europäische Finanzdienstleister jedoch regelrecht aus dem Schlaf. Denn eine Wertpapiertrans- aktion muss künftig bis 21 Uhr US-Ostküs- tenzeit abgewickelt sein. Während in New York gerade erst der Sommerabend däm- mert, schlummert Europa schon längst. In den asiatischen Finanzzentren wiederum sitzen die Händler bereits wieder an ihren Schreibtischen. Der Fondsverband Efama zeichnet nun ein dramatisches Bild: Die Branchenlobby fürchtet einen Herstatt-Pleite-Moment. Denn aufgrund der Fristverkürzung hätten europäische Asset Manager nur noch ein sehr begrenztes Zeitfenster für die Abwick- lung ihrer US-Dollar-Geschäfte. Gerade in Phasen mit großen Schwankungen an den Finanzmärkten – wie bei der Pleite der US- Investmentbank Lehman Brothers oder rund um die Corona-Pandemie – berge dies hohe Risiken, warnt der Verband. Die Parallelen, die die Efama zur Her- statt-Pleite zieht, kommen nicht von unge- fähr. Als am Nachmittag des 26. Juni 1974 die deutsche Finanzaufsicht den Geschäfts- betrieb der Kölner Privatbank nach Fehl- spekulationen mit dem Dollar beendete, blieben Handelsgeschäfte des Instituts mit US-Banken unerfüllt. Die daraufhin auf- keimende Panik beeinträchtigte über Monate den weltweiten Devisenhandel. „Herstatt-Risiko“ Aus dem Skandal erwuchs der Begriff „Herstatt-Risiko“. Dieser bezeichnet die Ge- fahr, dass die Gegenpartei einer Handels- transaktion ausfällt und das Geschäft offen bleibt (siehe Kasten auf der folgenden Sei- te). Aufseher und Zentralbanken zogen Konsequenzen aus dem Fall. In der Folge entstand ein internationales System, das eine gleichzeitige Abwicklung von Devi- sengeschäften ermöglicht und das Kontra- hentenrisiko begrenzt. Kernstück des Sys- tems ist die CLS-Bank in New York. Ehemaliger Hauptsitz der Herstatt- Bank in Köln: Die Privatbank rutschte infolge von Fremdwährungsspeku- lationen 1974 in die Pleite. Heute beheimatet das Gebäude ein Institut für Sozialwissenschaften. 2 Billionen Dollar wickelt die CLS-Bank mit Sitz in New York im Schnitt an Devisentransaktionen ab – an einem Tag. Quelle:CLSGroup STEUER & RECHT Wertpapierabwicklung 416 fondsprofessionell.de 2/2024 FOTO: © SEBASTIAN ERTINGER, BEARBEITET MIT KI
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