Eigentlich wollten die beiden US-Ökonomen Eugene Fama und Kenneth French nur eine bessere Erklärung für die Entwicklung von Kapitalmarktrenditen liefern. Mit ihrem Faktorenmodell stießen die beiden aber nicht nur eine Revolution in der Finanzwissenschaft an, sondern lösten auch eine regelrechte Schatzsuche aus: Eine Heerschar an Forschern ging auf die Pirsch nach weiteren Faktorprämien. Eine davon ist "Low Asset Growth", zu Deutsch langsames Bilanzwachstum.

Dahinter steckt die Idee, dass die Unternehmen, die vergleichsweise wenig investieren, höhere Renditen erzielen. "Die Prämie Low Asset Growth wurde schon vor 15 Jahren in wissenschaftlichen Aufsätzen formuliert, ist empirisch gut belegt und sachlogisch erklärt", sagt Gerd Kommer. Der Buchautor und Vermögensverwalter beschäftigt sich mit wissenschaftlich begründeten Investmentmodellen und initiierte jüngst einen Indexfonds, der auf Faktorprämien setzt.

Aufgeblähte Bilanzen
"Doch eine gute Idee der Wissenschaft führt nicht automatisch dazu, dass sie auch in der Investmentpraxis aufgegriffen wird", schränkt Kommer ein. "Zwischen der Forschung und der Umsetzung in der Finanzbranche liegt eine lange Wegstrecke." Das kann einen ganz einfachen Grund haben. "Der Faktor langsames Bilanzwachstum ist in der Kommunikation deutlich schwieriger", erläutert Thomas Meinke, Investmentstratege bei Dimensional Fund Advisors. "Denn mit Investitionen assoziieren die Menschen ja etwas Positives."

Betrachtet man jedoch zwei praktisch identische Firmen, die sich nur in der Höhe der Investitionen unterscheiden, stellt sich eine Frage: "Wo bleibt für mich als Aktionär mehr übrig von den Unternehmensgewinnen?", so Dimensional-Mann Meinke. "Am Ende des Tages zehren die Investitionen die Cashflows auf, die ich als Aktionär abbekommen sollte." Oder andersrum: "Ist ein Unternehmen, das in kurzer Zeit seine Bilanz aufbläht, wirklich gesund?", fragt Meinke. "Für große Unternehmen ist es richtig anstrengend, die Bilanz kurzfristig zu verdoppeln, weshalb der Faktor vor allem bei kleinen Unternehmen stärker auffällt."

Einfache Werbung
Andere Investmentstile lassen sich weitaus einfacher bewerben, selbst wenn sie schwere Zeiten durchleben. "Die Growth-Branche hatte 2002 und 2003 ihr Nahtoderlebnis. In den letzten Jahren war es eher Value", führt Vermögensverwalter Kommer als Beispiel an. "Value-Investments sind dennoch populär." Denn die dahinterstehende Logik sei so intuitiv, dass sie jedem verständlich sei. "Die Maxime 'Kaufe günstig!' ist so alt wie menschliches Wirtschaften", erläutert Kommer.


Welche Faktoren in der Theorie gut belegt sind, sich in der Praxis aber schwierig umsetzen lassen, lesen Sie in der vollständigen Version dieses Artikels, der in FONDS professionell 4/2023 ab Seite 148 erschienen ist. Angemeldete Nutzer finden den Text auch hier im E-Magazin.


Andere Beobachter billigen dem Faktor Low Asset Growth dagegen nur eine Nebenrolle im Kanon der Prämien zu. Dazu gehört Pim van Vliet von Robeco. "Es ist wichtig, zwischen Faktorstilen und Variablen zu unterscheiden", betont van Vliet, bei dem Rotterdamer Haus Leiter konservative Aktien und Chefstratege für quantitative Investments. "Low Asset Growth betrachte ich nicht als eigenständigen Faktor, sondern als Variable, die ich dem Faktor Quality zuordnen würde", führt van Vliet aus.

Guter Informationsgehalt
Anders sieht das Meinke von Dimensional. "Langsames Bilanzwachstum erachten wir als eigenen Faktor", sagt der Experte. "Er ist aber von nicht so großer Bedeutung für uns wie die drei Hauptfaktoren, die wir für uns definiert haben und die den Großteil der historischen Unterschiede von Aktienrenditen erklären: Size, Value und Profitabilität."

Der Faktor Low Asset Growth sei zwar kein Phänomen, das über mehrere Jahre in die Zukunft sichere Signale liefere, schränkt Meinke ein. "Aber über ein bis zwei Jahre liefern die Daten schon einen guten Informationsgehalt, und man kann etwa im Small-Cap-Bereich Unternehmen mit außerordentlich hohem Bilanzwachstum ausschließen." Auch bei Kommers neuem Multi-Faktor-ETF tritt Low Asset Growth zusammen mit Momentum als ergänzendem Element zu den Faktoren Size, Value und Quality hinzu. (ert)