Einmal im Jahr blendet John Bilton das kurzfristige Auf und Ab und das Hintergrundrauschen an den Finanzmärkten aus. Dann diskutiert der Multi-Asset-Chef von J.P. Morgan AM mit seinen Kollegen die langfristigen wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Rahmenbedingungen und Aussichten. Das alles komprimieren sie zu Risiko- und Ertragserwartungen für 200 Anlageklassen und Strategien über die nächsten zehn bis 15 Jahre.

Diesmal tippte Bilton seinen Slogan zum Ergebnis zeitgemäß nochmal rasch in ChatGPT ein. Der Algorithmus spuckte Sätze aus mit Wörtern wie "Klimakrise", "Technologie", "Möglichkeitenset". Das Motto der kommenden Jahre war gekauft: "Smarte Portfolios für eine Welt im Übergang".

Smarte Portfolios für eine Welt im Übergang
Die globale Wirtschaft sieht Bilton in vielfacher Hinsicht im Wandel: "Wir befinden uns im Übergang von einer Welt anhaltender Desinflation, ultralockerer Geldpolitik und fiskalischer Zurückhaltung hin zu einer Welt mit wechselseitigem Inflationsrisiko, konventionellerer Geldpolitik und stärkerem Einsatz fiskalischer Instrumente", so Bilton. Die sich verändernden Rahmenbedingungen haben seiner Meinung nach weitreichende Auswirkungen für Anleger und zwingen zu einer Überprüfung der langfristigen Anlagestrategie – gefragt seien Strategien, die das gesamte Spektrum an Möglichkeiten nutzen.

Dabei hält Bilton die langfristigen Ertragsperspektiven in vielen Vermögensklassen trotz der akuten Unwägbarkeiten für sehr vielversprechend. Er sagt: "Wir erwarten für ein Portfolio mit 60 Prozent globalen Aktien und 40 Prozent Anleihen über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren eine jährliche Rendite von 5,3 Prozent in Euro." Das sind 20 Basispunkte mehr als noch vor einem Jahr. Die besseren Renditeaussichten schreibt Bilton vor allem dem deutlich höheren Zinvsniveau am Anleihenmarkt zu. Mit diesen Ertragsaussichten kann sich der Wert des klassischen Mischportfolios in 13 Jahren verdoppeln, betont der Multi-Asset-Experte.

Transformation treibt das Wirtschaftswachstum und die Kurse
Er ist überzeugt, dass der technologische Fortschritt, etwa bei künstlicher Intelligenz und der Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität, über die kommenden Jahre die Wirtschaft tiefgreifend verändern und das nominale Wachstum erhöhen wird. Gerade das nominale Wachstum treibe aber die Aktienkurse, so Bilton. Er betont: "Davon profitieren auch Anleger." 

Überhaupt begrüßt er als Investor die Rückkehr des Staates als großer Geldgeber. Nachdem die globale Finanzkrise ab 2008 mit zahlreichen Rettungsaktionen die Staaten an ihre finanziellen Grenzen geführt hatte, mussten die Notenbanken die Rolle des Retters der Weltwirtschaft übernehmen. Das "Whatever it takes"-Versprechen des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi läutete nach dem US-Vorbild auch in Europa Jahre der ultralockeren Geldpolitik mit massiven Anleihenkäufen ein. 


An welchen Aktienmärkten er in den kommenden Jahren die besten Chancen sieht und warum Anleihen auf jeden Fall einen Platz im langfristigen Portfolio verdient haben, erklärt John Bilton in einem ausführlichen Interview, das in Ausgabe 4/2023 von FONDS professionell erscheint, die in den nächsten Tagen zugestellt wird.


Doch nun übernimmt die Fiskalpolitik wieder ihren Anteil. Etwa in der Finanzierung der Transformation: "Der Privatsektor kann das ohne staatliche Führung nicht stemmen, und der Staat braucht privates Kapital und Expertise für die Transformation", so Bilton. Dass die Ampelkoalition in Berlin nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit akuten Haushaltsproblemen kämpft, dürfte den langfristigen Trend kaum dauerhaft bremsen.

Gute Zeit für aktives Management
Dass die Notenbanken nach und nach ihre Anleihenportfolios abbauen, hat seiner Meinung nach auch Konsequenzen für Investoren: "Die Folge wird eine stärkere Differenzierung sein", so Bilton. Während die vergangenen Jahre ein gutes Umfeld für passive Anlagen boten, spricht das neue Umfeld seiner Einschätzung nach für aktives Management. Bis zu 200 Basispunkte Mehrrendite dürfte gutes aktives Management in den kommenden Jahren bringen, schätzt er. 

Anlegern rät Bilton dazu, auch die immer besser erschlossenen alternativen Anlageklassen wie Immobilien, Infrastruktur oder Direct Lending zu nutzen. Hier hätten die Preise teils deutlich korrigiert, und viele dieser Anlagen spielen einen wichtigen Part in der Transformation der Wirtschaft, so Bilton. (jh)