Geopolitische Spannungen, Energieknappheit und anhaltende Inflation: Investoren haben es in einem Europa in unsicheren Zeiten nicht gerade leicht. Doch der ehemalige SPD-Politiker und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel ist für die Zukunft der Europäischen Union (EU) optimistisch gestimmt. "Ich denke, viele Menschen rund um den Globus, ganz besonders in Russland, waren erstaunt, mit welcher Einigkeit die EU auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert hat", sagte Gabriel im Podiumsgespräch beim FONDS professionell KONGRESS in Mannheim. Damit habe der russische Präsident Wladimir Putin nicht gerechnet.

"Wir hatten in der Vergangenheit Probleme in der EU", erklärte Gabriel, der von November 2005 bis Oktober 2009 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit war, von Dezember 2013 bis Januar 2017 Bundesminister für Wirtschaft und Energie und anschließend bis März 2018 Bundesminister des Auswärtigen. 

Unterschiedliche Auffassungen
"In Ost- und Westeuropa existierten etwa unterschiedliche Auffassungen zur Meinungsfreiheit, wir waren in Norden und Süden gespalten, wenn es um die Finanzmakroökonomie ging", erinnerte er. Vielleicht habe Putin daher gedacht, es sei ein Leichtes, mit den Ideen des 19. und den Waffen des 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert in die Ukraine einzumarschieren. "Aber damit ist er gescheitert, Europa ist geeinter denn je", konstatierte Gabriel.

Natürlich sehe er die Herausforderungen, vor denen die EU und Deutschland derzeit stehen. "Die Preise steigen, Handelskriege sind zurück, wir haben einen bewaffneten Konflikt in Europa, die Energiekanäle werden künftig nicht mehr von Ost nach West, sondern von Nord nach Süd verlaufen", sagte Gabriel. Es sei notwendig, die kohlenstoffintensive Energieerzeugung und den entsprechenden Verbrauch zu ersetzen. Die Transformation in eine grüne Wirtschaft sei ebenfalls nicht zu vergessen. "Wie wir an der Debatte über Elektroautos sehen, vollziehen sich solche Entwicklungen nicht von heute auf morgen, aber ich bin sicher, dass wir das schaffen werden", so Gabriel.

Zu stark auf sich selbst konzentriert
Ökonomisch müsse Europa aber zu einer anderen Einstellung kommen. "Wir sind zu stark auf uns selbst konzentriert", sagte der Experte. Rund zehn Jahre Instabilität und Unsicherheit lägen vor der Staatengemeinschaft. Daher sei nun mehr internationale Zusammenarbeit vonnöten, auch mit Staaten und Regierungen, deren Vorstellungen von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten den europäischen Werten nicht entsprechen. 

Was die Umsetzung von Innovationen und Investitionen angeht, so lohne sich für Europa ein Blick in die USA, die hier ein höheres Tempo an den Tag legten. "Wir sind in diesem Punkt bürokratisch und langsam geworden, weil wir jahrzehntelang versucht haben, Risiken regulatorisch auf null zu reduzieren", sagte Gabriel. Fortschritt sei ohne gewisse Gefahren aber nicht zu haben. "Natürlich sollten wir abwägen, welche Risiken wir eingehen wollen, aber wenn wir eine teure Bürokratie über die Geschwindigkeit des europäischen Fortschritts stellen, dann sind wir verloren", erklärte er. (am)