In diversen Medien ist derzeit von der Angst vor Deflation die Rede. Auch Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) spricht von einem latenten "Deflationsrisiko". Für Anleger sei es wichtig zu verstehen, was es mit dem Begriff auf sich hat, meint Guy Wagner, Chefanlagestratege der Banque de Luxembourg und Leiter des Fondsmanagementteams bei der Banque de Luxembourg Investments (BLI).

Deflation definiere man in der Volkswirtschaftslehre als einen allgemeinen, signifikanten und anhaltenden Rückgang des Preisniveaus für Waren und Dienstleistungen. Ein solcher Zustand sei auf gesamtwirtschaftlicher Ebene nur äußerst selten zu beobachten, dafür aber umso häufiger in einzelnen Branchen.

Deflationsursache "technischer Fortschritt"
Hauptursache für einen massiven Preisrückgang sei eine gestiegene Effizienz – also die Fähigkeit, ein Produkt oder eine Dienstleistung billiger oder besser anbieten zu können. Dieses Phänomen sei zum Beispiel aus der Computer- und der Unterhaltungselektronikbranche bekannt: "Ein aktuelles iPhone kostet etwa ein Drittel eines Apple Macintosh Computer aus dem Jahr 1984, der damals etwa 2.500 US-Dollar gekostet hat – und es kann unglaublich viel mehr", sagt Wagner.

Preisbewusstsein eingeschränkt
Eine weitere wichtige Ursache für Deflation – nämlich ein Mehrangebot im Verhältnis zu einer stabilen Nachfrage – sei aktuell beim Ölpreis zu beobachten. In nahezu jedem internationalen Warenkorb, der für die Berechnung der Teuerungsrate herangezogen wird, haben die Energiepreise einen hohen Anteil. Trotzdem müsse man sich vor Augen führen, dass die Nachfrage nach Öl nicht elastisch auf den Preis reagiert, sagt Wagner: Das bedeute zum Beispiel, dass kaum jemand sein Auto stehen lässt und mit dem Bus fährt, nur weil der Ölpreis steigt. Umgekehrt werden auch keine längeren Strecken mit dem Pkw zurückgelegt oder mit dem Auto statt mit der Bahn in Urlaub gefahren, nur weil Benzin billiger geworden ist. Der häufig befürchtete negative Effekt der Deflation auf die private Konsumnachfrage falle hier also aus.

Relevanz von Warenkörben zweifelhaft
Überhaupt bezweifelt Wagner, dass Deflation ausschließlich unerwünschte Folgen hat. Dafür gebe es zwei Hauptursachen: Zum einen hätten die Konsumenten durch die niedrigeren Preise Geld zur Verfügung, das sie für mehr, für höherwertige oder für andere Anschaffungen verwenden könnten. Dadurch ändere sich der repräsentative Warenkorb, auf dessen Basis der Verbraucherpreisindex berechnet wird. "Das veränderte Konsumverhalten kompensiert den deflationären Effekt", erklärt Wagner.

Zum anderen hänge Deflation natürlich auch von der Geldmenge und dem Geldmengenwachstum ab. Letztlich steuerten Zentralbanken durch ihre Geldpolitik das Geldmengenwachstum. "In der Vergangenheit war die Politik so, dass immer etwas zu viel Geld geschaffen wurde und es zu einer moderaten Inflation kam", sagt Wagner. (fp)