Ende des 18. Jahrhunderts sorgte die Dampfmaschine für einen gewaltigen Innovationsschub. Rund 50 Jahre später bescherten Eisenbahn und Stahl der Welt die nächste Wachstumswelle, die Ende des 19. Jahrhunderts von Erfindungen rund um Elektrotechnik und Chemie abgelöst wurden. Solche technologischen Umbrüche, die eine produktivitätssteigernde Breitenwirkung entfalten und letztlich sämtliche Lebensbereiche erfassen, sind nach ihrem Entdecker benannt, dem russischen Ökonomen Nikolai Kondratieff.

Den oben genannten Kondratieff-Zyklen folgten Automobil und Petrochemie (1930 bis 1970) und die Informations- und Kommunikationstechnologie (ab circa 1970). Geht es nach Hans-Jörg Naumer, dem Leiter der Kapitalmarktanalyse bei Allianz Global Investors, steht die Weltwirtschaft nun am Beginn eines neuen, sechsten Kondratieff-Zyklus: der "grünen Welle".

"Transformation der Ökonomie"
Naumer hat mehrere Kennzeichen ausgemacht, dass der "alte" Kondratieff-Zyklus ausläuft und nun durch einen neuen abgelöst wird: Das Potenzial bisheriger "Basisinnovationen" ist erschöpft, die Produktivität geht zurück. Die Realrenditen sinken, an den Finanzmärkten bilden sich Blasen. Gesucht sind neue Technologien, die volkswirtschaftliche Engpässe lösen.

Anders als früher geht es allerdings nicht mehr um Fragen wie den Transport oder die Kommunikation, sondern um die Notwendigkeit, die Ressourcen der Erde zu schonen. "Der Klimawandel ist der ultimative Wake-up-Call, dass die Umwelt selbst ein knappes Gut geworden ist", sagt Naumer. "Bei der neuen Wachstumswelle geht es um die Transformation der Ökonomie zu nachhaltigem Wachstum."

"Noch lebt die Menschheit über ihre Verhältnisse"
Der "grüne Kondratieff" werde nicht von der Ausbeutung der Umwelt, sondern vom intelligenten und nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen geprägt sein. "Noch lebt die Menschheit über ihre Verhältnisse, wie der Verbrauch an Bio-Kapazität und der CO2-Fußabdruck zeigen", sagt Naumer. "Sollen die Ansprüche der nachkommenden Erdbewohner an ein menschenwürdiges Leben erfüllt werden, so bedarf es eines Übergangs vom parasitären zum symbiotischen Wachstum. Dabei wird Umwelttechnologie mittels Digitalisierung den Umgestaltungsprozess treiben."

Der Kapitalbedarf für eine derartige Umstellung sei enorm, räumt Naumer ein. Es gehe um mittlere zweistellige Billionenbeträge, die bis 2030 aufgebracht werden müssen. "Aber dieses Investitionsvolumen zu erreichen, scheint nicht aus der Welt zu sein." Denn immer mehr institutionelle und private Anleger würden sich dazu verpflichten, ihr Geld nachhaltig zu investieren. (bm)