Karin Kunrath verantwortet als Chief Investment Officer die Strategie bei Raiffeisen Capital Management. Im Gespräch mit der Redaktion erklärt sie, warum sie sich trotz hoher Aktienkurse keine großen Sorgen macht und was aktuell für Anleiheinvestments in Schwellenländern spricht.


Frau Kunrath, der Dax steht über 19.000 Punkten. Schaffen wir dieses Jahr noch die Marke von 20.000 Zählern? Oder droht eher ein Rückschlag?

Karin Kunrath: Wir werden wohl noch einiges an Volatilität erleben, besonders in den Wochen bis zur US-Wahl, aber auch darüber hinaus. Wir waren bereits vor den August-Turbulenzen vorsichtiger und haben die Aktienquoten in unseren gemischten Portfolios auf neutral reduziert. Seitdem haben sich die Unternehmens- und Konjunkturdaten etwas verschlechtert und die geopolitische Unsicherheit ist gestiegen, zum einen wegen der US-Wahl, aber zunehmend natürlich auch wegen der Eskalation im Nahen Osten.

Glauben Sie, dass die befürchtete US-Rezession doch kommt?

Kunrath: Der Markt ändert seine Meinung dazu nahezu im Wochenrhythmus. Um ehrlich zu sein, muss man sagen: Es gibt im Moment keine klare Evidenz, ob es zur Rezession kommt oder nicht. Unser Basisszenario ist aber schon seit vergangenem Jahr das "Soft Landing", und das wäre natürlich sehr gut für Aktien. Wenn die Rezession kommt, könnte es dagegen deutlich ungemütlicher werden, wenngleich das Rückschlagpotenzial begrenzt ist.

Warum?

Kunrath: Aus zwei Gründen: Zum einen haben wir mit wenigen Ausnahmen keine überzogenen Bewertungen an den Aktienmärkten. Zum anderen haben die Notenbanken auf dem aktuellen Zinsniveau noch viel Spielraum, um gegenzusteuern, und den würden sie bei einer raschen Konjunkturabkühlung auch nutzen.

Wie wichtig ist die US-Wahl Ihrer Meinung nach für die Märkte?

Kunrath: Die Wahl ist für den Aktienmarkt gar nicht so entscheidend. Betrachtet man die Amtsperioden aller US-Präsidenten, sind die Aktienmärkte im Lauf der Amtszeit fast immer gestiegen. Kurzfristige Reaktionen wird es natürlich geben, denn der Markt muss sich nach der Wahl neu kalibrieren. Viel wichtiger ist aber die weitere wirtschaftliche Entwicklung.

Wie viele Zinssenkungen erwarten Sie?

Kunrath: Wir rechnen noch mit ein bis zwei Zinssenkungen in den USA bis Jahresende. Wenn die Rezession kommt, werden sie sicher größer ausfallen. Aber insgesamt werden wir nicht zu Null- oder Minuszinsen wie in den 2010er Jahren zurückkehren. Dazu sind die strukturellen Inflationstreiber zu hoch.

An der Börsen haben zuletzt die US-Megacaps etwas von ihrem Vorsprung abgegeben. Ist das der Beginn einer großen Rotation hin zu Small- und Mid-Caps?

Kunrath: Lange drehte sich alles um die "Magnificent Seven". Nun treten auch Unternehmen aus der zweiten Reihe mit sehr gutem Potenzial in den Fokus. Zugleich müssen die großen Firmen die in sie gesetzten Gewinnerwartungen bestätigen. Ich glaube, dass der US-Aktienmarkt in Zukunft von deutlich mehr Aktien getragen wird. Und das ist gut für die Stabilität.

Lassen Sie uns einen Blick auf die Emerging Markets werfen: Chinesische Aktien haben zuletzt stark zugelegt…

Kunrath: Die Ankündigungen der chinesischen Regierung zu Stimulus und Lockerung der Liquidität haben zu starken Kursanstiegen bei chinesischen Aktien geführt. Dies hat selbstverständlich auch dazu beigetragen, dass sich die Schwellenländer seit Mitte September deutlich besser entwickeln als ihre Pendants aus den entwickelten Ländern. Dennoch konnte damit im September gerade mal die Underperformance des Jahres aufgeholt werden. Ich halte das noch für keinen stabilen Trend.

Was halten Sie von Anleihen?

Kunrath: Anleihen bieten auf dem aktuellen Zinsniveau interessante Erträge und Diversifikationsvorteile. Wir haben vor allem Schwellenländeranleihen übergewichtet. Wir glauben, dass diese besonders von sinkenden US-Zinsen profitieren werden. Dazu sehen wir deutliche fundamentale Verbesserungen in diesen Märkten.

Und Unternehmensanleihen?

Kunrath: Das kommt darauf an. Wir halten Anleihen mit Investment-Grade-Rating für interessant, sind aber etwas vorsichtiger geworden. Die Zinsprämien sind deutlich geschrumpft und damit auch das Potenzial für Mehrertrag. Zugleich sehen wir immer öfters Gewinnwarnungen und negative Gewinnrevisionen. Wenn die Rezession doch kommt, tritt natürlich die Risikoanalyse noch stärker in den Vordergrund.

Dann halten Sie sich im High-Yield-Segment wohl umso mehr zurück?

Kunrath: Hochzinsanleihen sind sehr gut gelaufen. Das hängt aber auch mit dem immer knapperen Marktangebot zusammen, da viele Unternehmen sich gar nicht mehr über den Anleihenmarkt finanzieren, sondern über Private Debt. Die verbleibenden Anleihen-Emittenten haben tendenziell ein besseres Rating. Der Markt schrumpft also und die Qualität steigt. Aber auch hier sind die Spreads deutlich gesunken. Mehr Chancen als mit Unternehmensanleihen sehen wir im direkten Vergleich tatsächlich in Emerging-Markets-Anleihen.

Vielen Dank für das Interview. (jh)