Angesichts der seit Wochen und Monaten geringen Schwankungen an den Aktienmärkten muss bei vielen Marktakteuren das Vertrauen in die Notenbanken sehr groß sein. "Denn wie anders soll man erklären, dass wir nach dem negativen Aktienjahr 2022 und immer noch anhaltenden Zinserhöhungen gerade eine Zeit niedrigster Volatilitäten an den bedeutendsten Aktienmärkten erleben", schreibt Kay-Peter Tönnes, Geschäftsführer und Portfoliomanager bei Antecedo Asset Management in Bad Homburg, in einem aktuellen Kommentar. "Sowohl die in den letzten Monaten realisierten Volatilitäten als auch die impliziten Volatilitäten der Aktienoptionen liegen deutlich unter ihren langfristigen Durchschnitten und vielfach nicht mehr weit von historischen Tiefpunkten entfernt."

Daraus muss man nach seiner Einschätzung den Schluss ziehen, dass die Anleger derzeit keine wirklichen Gefahren für die Aktienmärkte sehen. "Und was die ökonomischen Faktoren betrifft, haben sie damit vermutlich sogar recht", meint er. Denn den Notenbanken sei es bisher gelungen, die Zinsen aus einer Situation ungekannt niedriger Niveaus nach oben zu schleusen, ohne einen Crash oder eine Rezession auszulösen. "Ein solches nahezu perfektes Soft Landing hatte kaum jemand für möglich gehalten", so Tönnes.

Blick in die Vergangenheit
Nun sei die Frage, wie lange eine solche Situation niedrigster Risikowahrnehmung anhalten kann. "Der historischen Erfahrung nach meistens nicht länger als sechs Monate", stellt der Antecedo-Chef fest. Doch es gebe auch andere Beispiele: "Die bisher längste Phase niedrigster Volatilitäten, mit den absoluten Tiefpunkten bei den Optionsvolatilitäten, war die Zeit von Juni 2016 bis Februar 2018", erläutert Tönnes. Am 11. Oktober 2022 habe dieses Mal ein ähnlicher Volatilitätsabstieg wie 2016 begonnen (siehe folgende Grafik).

Quelle: Antecedo

In der Grafik ist die aktuelle Entwicklung des europäischen Volatilitätsindex V-Stoxx als orange Linie und die Entwicklung von 2016 bis 2018, aber jetzt beginnend mit dem 11. Oktober 2022, als blaue Linie dargestellt. "Man sieht, dass in beiden Fällen der Abstieg der Volatilitäten ähnlich rasant stattgefunden hat", sagt Tönnes. "Sollte sich die damalige Entwicklung wirklich wiederholen, so müssten wir bis zum 29. Mai 2024 warten, bis die Volatilitäten wieder ansteigen."

Günstig gegen Kursverluste absichern
Nach seiner Erfahrung könnten Börsen ökonomische Zusammenhänge gut einpreisen, so der Antecedo-Chef: "Und es ist gefährlich zu glauben, man wüsste es besser." Politische Ereignisse oder andere Störfaktoren könnten Börsen dagegen weniger gut vorwegnehmen. Deren Realisation führe häufig zu extremen Anpassungen und extrem hohen Volatilitäten wie beispielsweise während der Corona-Pandemie. "Und unsere Zeit ist voller geopolitischer Risiken", sagt Tönnes. Allerdings könne man bei keinem mit annähernd ausreichender Sicherheit sagen, dass es genau in den nächsten zwei Monaten eintreten werde.

Es gibt nach seiner Einschätzung aktuell keinen zwingenden Grund, warum die Phase niedriger Volatilitäten und steigender Aktienkurse abrupt enden sollte. "Im Hintergrund lauern aber erhebliche Gefahren, die irgendwann zu deutlich steigenden Volatilitäten führen werden", warnt Tönnes. "Man muss sich jetzt noch nicht unbedingt auf einen solchen Wechsel der Börsenstimmung einstellen. Da dies aber auch früher als gewünscht geschehen kann, könnte man die niedrigen Optionsvolatilitäten auch nutzen, um schon jetzt zum Beispiel eine Absicherung für Aktiengewinne ins Portfolio einzuziehen", empfiehlt er. (aa)