Keine Konzert-, Kino- oder Theaterbesuche, Reisewarnungen oder -verbote für beliebte Sommer- und Winterurlaubsregionen, geschlossene Restaurants und Kneipen, "Geisterspiele" beim Fußball, Eishockey und anderen publikumsstarken Sportarten, dazu reihenweise abgesagte Privat- und Firmenfeiern: Ja, das alte Jahr war für viele Menschen voller Entbehrungen. Für einige war es aber auch voller neuer Erfahrungen, denn eine Bevölkerungsgruppe musste keinen Verzicht üben: Jene, die 2020 trotz der superzittrigen Börsen unbeirrt in ausgewählte Aktien oder aktiennahe Fonds investierte.

Angesichts des Corona-bedingten Blitzcrashs vom Frühjahr, der selbst hartgesottenen Finanzprofis den Angstschweiß auf die Stirn trieb, brauchte es dazu eine gehörige Portion Mut. Immerhin rauschte der Dax von Mitte Februar bis Mitte März von 13.780 auf 8.440 Punkte abwärts (was einem Minus von 38,8 Prozent binnen vier Wochen entspricht!). Der Euro-Stoxx-50-Index tat es ihm gleich und sackte simultan von 3.840 auf 2.385 Zähler zusammen. Doch ausgerechnet in diesen finstersten aller Börsenwochen seit langem bewiesen Privatinvestoren Courage. Zu ihnen – das ist die vielleicht verblüffendste Erkenntnis des alten Jahres – zählen seit kurzem auch viele der chronisch Telekom-Aktien-traumatisierten Bundesbürger, wie die überraschend stark gestiegenen Zahlen bei Wertpapierdepots und Sparplanverträgen belegt. Und auch in Österreich grassiert urplötzlich ein neues Aktienfieber.

Starkes Plus bei Neu-Depots
Wegen lockdownbedingt geschlossener Bankfilialen kam die Anlagelust vor allem den Direkt-, Online und Smartphone-Banken zugute. Beispielsweise der ING Deutschland: Hier erreichte die Anzahl der Depot-Neueröffnungen in den ersten sechs Monaten mit rund 210.000 einen Rekordwert. Im gesamten Vorjahr waren "nur" 160.000 Depots neu eröffnet worden. Bei der Comdirect sieht es ähnlich gut aus: Die 232.000 zusätzlichen Depotkunden der ersten neun Monaten, die vor allem im März und April dazu kamen, bedeuten das größte Plus seit Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Und noch zwei bemerkenswerte Fakten: Im Vergleich zu 2019 ist der Anteil an Aktienbesitzern um fünf Prozentpunkte auf 34 Prozent gestiegen, wie die Studie "Aktienkultur in Deutschland" zeigt, für die sich Comdirect, Consorsbank und ING zusammengeschlossen haben. Vor allem bei jüngeren Menschen unter 25 Jahren ist das Börseninteresse plötzlich erwacht: In keiner anderen Altersklasse hat die Zahl der Aktionäre so sprunghaft zugenommen.

Es darf vermutet werden, dass viele Festgeld-vernarrte Sparer den wochenlangen Lockdown vom Frühjahr dazu genutzt haben, neben anderen aufgeschobenen Projekten wie der Entrümpelung von Keller, Dachstuhl und Garage auch die eigene Vermögensplanung respektive Zukunftsvorsorge endlich auf zeitgemäße Säulen zu stellen. Die herannahende Welle von "Strafzinsen", die als "Verwahrentgelt" oder "Guthabengebühr" getarnt auch immer mehr herkömmliche Bankkunden trifft, dürfte ein Übriges getan haben.

Alles in allem jedenfalls sollte die Börsenbilanz 2020 auch dank des performancestarken Endspurts in der letzten Dezemberwoche für die meisten Neu-Anleger zufriedenstellend ausgefallen sein. Das macht Mut für die kommende Saison, denn Verbraucherumfragen belegen immer wieder: Wer sich einmal dazu überwunden hat, dem Sparbuch Lebewohl zu sagen und sich in die Fondswelt zu wagen, der oder die bleibt dabei.

Ob der zweite Lockdown für Europas Aktienmärkte 2021 zum Knockdown wird und wie Anlagestrategen, Fondslenker und Ökonomen bei Banken, Versicherern und Asset Managern die Aussichten für den dann auf 40 Mitgliedsunternehmen aufgestockten Dax sowie den unverändert 50 Konzerne umfassenden Euro Stoxx 50 einschätzen, sehen Sie in der Bildergalerie oben. (ps)