Seit der US-Präsidentschaftswahl sind in den Vereinigten Staaten sowohl die Aktienkurse als auch die Renditen von Staatsanleihen steil gestiegen. Nun sieht es ganz so aus, als hätten Anleger die rosarote Brille abgenommen – aus gutem Grund: Auf seiner ersten Pressekonferenz seit Monaten brachte Donald Trump in der vergangenen Woche statt konkreter politischer Vorschläge nur weiteres Getöse. "Das Urteil der Finanzmärkte auf die Pressekonferenz war eindeutig: Der US-Dollar, US-Renditen und Aktienkurse fielen und drückten damit aus, dass die Euphorie nach Trumps Wahlerfolg wohl etwas zu groß war", stellt Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin, fest.

Junius sieht die Gefahr, dass sich Investoren auf ein perfektes politisches Umfeld eingestellt hatten, in dem die Wirtschaftspolitik rasch Früchte trägt. "Politische Prozesse verlaufen aber selten schnell und reibungslos", warnt er. "Sie kennen Gewinner und Verlierer." Vor allem die Verlierer werden erst klar, wenn Details über Gesetzesvorhaben bekannt werden. "Der Mangel an Details auf Trumps Pressekonferenz hat die Finanzmärkte deshalb an einem wichtigen Punkt getroffen. Wenn sie keinen konkreten Fortschritt bei der Ausgestaltung der Politikvorstellungen sehen, könnten die Hoffnungen auf schon in diesem Jahr steigende Unternehmensgewinne wie ein Kartenhaus zusammenbrechen", sagt der Ökonom.

Hauptrisiko: Protektionismus
Die wichtigste greifbare Botschaft der Pressekonferenz war vielleicht, dass der neue US-Präsident internationalen Handel tatsächlich als Nullsummenspiel sieht. Heißt: Was das eine Land gewinnt, verliert ein anderes. "Protektionismus lässt sich so leicht rechtfertigen. Das stellt einen wichtigen internationalen Konsens in Frage", sagt Junius.

Innenpolitisch mag es gut ankommen, wenn Trump diesen oder jenen handelspolitischen "Sieg" gegen vermeintlich unfaire ausländische Konkurrenten erringt. Darin liegt vermutlich die größte Gefahr, wenn die neue US-Administration keine Details ihrer Politikvorschläge präsentiert, warnt der Sarasin-Experte: "Wenn schnelle innenpolitische Reformen und Erfolge ausbleiben, dann könnte sie sich stärker mit außenpolitischen Erfolgen brüsten wollen. Kurzfristig mag das die eine oder andere Wählergruppe zufrieden stellen. Mittelfristig würden Produktivität und Unternehmensgewinne global leiden." (fp)