Während die US-Notenbank Fed ihren geldpolitischen Straffungskurs fortsetzt, zögert die Europäische Zentralbank (EZB) den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik weiter hinaus. Dabei sinkt nicht nur in den USA, sondern auch in der Eurozone die Arbeitslosenrate schneller als gedacht. Für die Währungsunion lag sie im April bei 9,3 Prozent und damit unter dem langfristigen Durchschnitt von 9,8 Prozent. EZB-Chef Mario Draghi verwies Anfang Juni indes auf die tiefe Kerninflation, um seinen anhaltend expansiven Kurs zu rechtfertigen.

Draghis Rhetorik zeigt nur die halbe Wahrheit, stellt Bantleon-Chefvolkswirt Harald Preißler fest. "Bei genauem Hinsehen sind die Unterschiede zwischen den Notenbanken gar nicht so groß. Auch die EZB hat den Ausstieg bereits eingeleitet und klar gemacht, dass der Höhepunkt der akkommodierenden Geldpolitik vorbei ist." So hat die Notenbank das Volumen ihrer monatlichen Wertpapierkäufe reduziert und darüber hinaus klargestellt, dass die Leitzinsen nicht weiter gesenkt werden. Draghi bereitet die Märkte allmählich auf den Entzug von der Droge Liquidität vor – zumal mit zunehmender Dauer immer stärker die negativen Begleiterscheinungen der "Drogenpolitik" in den Vordergrund rücken, wie Preißler betont.

Brummt die Wirtschaft, ist die Inflation egal
Alles in allem führt kein Weg am Ausstieg vorbei, betont Preißler. "Wenn die Konjunktur in den kommenden Quartalen nicht allzu sehr nachgibt, wird die EZB den Exit weiter vorantreiben." Unter anderem dürfte sie im Herbst einen Plan zur Rückführung der Anleihekäufe vorlegen. Steht die Wirtschaft in der Eurozone auf einem soliden Fundament, dürfte auch die Kerninflation für Draghi zweitrangig werden. "Das gilt umso mehr, als die Kollateralschäden von Negativzinsen und aufgeblähten Notenbankbilanzen immer stärker ins Blickfeld geraten", so der Bantleon-Ökonom. (fp)