Auf der anstehenden Juni-Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte eine Frage alle anderen Themen dominieren: Wann beginnt die Notenbank damit, ihre Wertpapierkäufe zu reduzieren? Die US-Notenbank Fed hat bereits angedeutet, bald über ein sogenanntes Tapering sprechen zu wollen, erklärt Daniel Hartmann, Chefvolkswirt von Bantleon. Seiner Einschätzung nach sollte auch die EZB zeitnah in eine entsprechende Diskussion einsteigen. "Die wirtschaftliche Belebung der Eurozone ist noch nicht so weit fortgeschritten, demzufolge ist die Tapering-Debatte für die EZB weniger aktuell. Allerdings haben sich die Frankfurter Währungshüter mit der März-Entscheidung in eine schwierige Lage manövriert", urteilt Hartmann.

Als Reaktion auf die gestiegenen Renditen hatte Notenbankchefin Christine Lagarde im März angekündigt, die Wertpapierkäufe im zweiten Quartal vorübergehend hochzufahren. "Im Juni steht folglich nur die Entscheidung an, ob dieser zusätzliche monetäre Impuls wieder zurückgenommen wird", erklärt der Bantleon-Volkswirt. "Eine generelle Debatte über Tapering wäre gar nicht notwendig." Die Frage ist, ob eine Entscheidung für ein Zurückfahren der Zusatz-Käufe am Markt auch entsprechend wahrgenommen würde – oder ob sie eben doch als Beginn eines allgemeinen Taperings interpretiert würde.

Corona-Notkäufe haben bald keine Grundlage mehr
Die Tauben im EZB-Rat haben sich bereits dagegen ausgesprochen, die Wertpapierkäufe zu reduzieren. "Die Falken haben darauf nichts erwidert", berichtet Hartmann. Es sieht also ganz danach aus, als setze die Notenbank ihre Anleihekäufe vorerst im Umfang von zuletzt knapp 30 Milliarden Euro pro Woche fort, obwohl sich die wirtschaftliche Lage in der Eurozone deutlich verbessert hat. "Ein Kompromiss könnte darin bestehen, eine kleine Drosselung der Käufe im dritten Quartal vorzunehmen", sagt der Ökonom.

So oder so steigt nach Hartmanns Einschätzung der Druck auf die EZB, bei den Anleihekäufen den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. "Die Wachstums- und Inflationsraten werden im zweiten Halbjahr kräftig anziehen", prognostiziert er. Damit entfalle die Existenzberechtigung für das Corona-Kaufprogramm PEPP. "Wir gehen daher davon aus, dass die Wertpapierkäufe sukzessive reduziert werden und PEPP im März 2022 ausläuft", so der Ökonom. Seiner Meinung nach sollten Anleger sowohl in den USA als auch in der Eurozone ab 2023 mehr geldpolitische Straffungen einpreisen, als sie es bisher tun. (fp)