Investoren müssen sich auf eine weiterhin hohe Inflation und ein schwieriges Umfeld für die Kapitalanlage gefasst machen. Davon ist Thorsten Weinelt überzeugt, der im Mai bei der Commerzbank als Chefanlagestratege auf Chris-Oliver Schickentanz folgte. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Teuerungsraten in diesem Jahr zwar ihren Höhepunkt erreichen. Aber die Inflation wird auch in den kommenden Jahren deutlich höher liegen als früher und hartnäckig über der Zwei-Prozent-Schwelle bleiben, die die Notenbanken anstreben", sagt Weinelt im Interview mit FONDS professionell, das in voller Länge in Ausgabe 3/2022 erschienen ist. Mit Blick auf die Inflation könne man insofern schon von einer "Zeitenwende" sprechen.

"In diesem Jahr erleben wir Historisches – leider: Sowohl auf der Aktien- als auch auf der Rentenseite gibt es erhebliche Verluste", sagt Weinelt. In anderen Krisen hätten Anleihen einen Diversifikationseffekt geboten, ein gutes Beispiel sei die Finanzkrise 2008 gewesen. "Doch das funktioniert in diesem Jahr nicht." An dieser Gesamtsituation werde sich vor dem Hintergrund der "deutlich aggressiveren Notenbankrhetorik und weiteren großen Zinsschritte bis Jahresende wahrscheinlich nichts Merkliches ändern", so der Volkswirt.

"Stressphasen für Zukäufe nutzen"
Für Anleger gebe es jedoch auch eine gute Nachricht: "Ein solches Jahr bekommen Sie nicht zweimal hintereinander!", betont Weinelt. "Außerdem tun sich, auch wenn das abgedroschen klingen mag, in jeder Krise auch erhebliche Chancen auf." Beispielsweise seien in einigen Bereichen des Rentenmarktes wieder zweistellige Renditen möglich, etwa bei Hochzinsanleihen oder Schwellenländerpapieren.

"Auch mit Unternehmensanleihen solider Bonität können Sie erstmals seit vielen Jahren fast wieder vier Prozent in Europa und über fünf Prozent in den USA erzielen", so der Anlagestratege. Zudem hätten sich viele Aktien deutlich verbilligt. "Wer langfristig investiert, sollte Stressphasen für Zukäufe nutzen", rät er.

"Aktionären blieb unterm Strich eine Realrendite von sechs Prozent"
Weinelt ist bewusst, dass die Realverzinsung mit Anleihen angesichts der hohen Inflation trotz des gestiegenen Renditeniveaus nach wie vor negativ ist. "Aber so hoch wie jetzt werden die Teuerungsraten unserer Einschätzung zufolge nicht lange bleiben", beruhigt der Anlagestratege. "Wenn die Verbraucherpreise derart nach oben schießen wie in diesem Jahr, bieten übrigens auch Aktien keinen Inflationsschutz, zumindest nicht auf kurze Sicht", sagt er. Langfristig funktioniere das allerdings sehr wohl.

In den USA hätten Aktien in den vergangenen 120 Jahren im Schnitt neun Prozent Nominalrendite pro Jahr abgeworfen. "Zwei Prozentpunkte kamen aus der Dividende, die restlichen sieben aus Kursgewinnen", so Weinelt. "Die Inflation lag in diesem Zeitraum bei durchschnittlich drei Prozent. Unter dem Strich blieb den Aktionären also eine Realrendite von sechs Prozent", rechnet der Volkswirt vor. "Das ist doch mal eine gute Nachricht!" (bm)


Im ausführlichen Interview in FONDS professionell 3/2022 ab Seite 378 äußert sich Thorsten Weinelt auch zur Aufstellung seines Teams, zur neuen Produktlinie "VV by CIO" und zur Frage, wie seine Kapitalmarktszenarien in konkrete Anlageempfehlungen münden. Angemeldete Nutzer können den Beitrag auch hier im E-Magazin lesen.