DIW-Präsident Marcel Fratzscher hat für Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar Verständnis, wenn sie der Rente mit 70 für alle eine Absage erteilt. Dennoch sieht er keine andere Möglichkeit, wie er im Interview mit der "Märkischen Oderzeitung" erklärt. "Die demografische Entwicklung, die verlängerte Lebenszeit, machen ein späteres Renteneintrittsalter notwendig. Anders kann das System nicht finanziert werden", sagt der DIW-Chef. "Wir brauchen allerdings flexible Regelungen, damit alle, die länger arbeiten können und erst recht alle, die das wollen, dies problemlos tun können."

Die im Sommer gestartete Flexirente reicht nach Ansicht von Fratzscher nicht, da diese Möglichkeit zu sehr vom Arbeitgeber abhängt: "Wenn der nicht will, gibt es die Flexirente meist nicht oder ist nicht attraktiv und die Arbeitnehmer haben Nachteile. Es sollten die Chancen und Anreize verbessert werden, länger zu arbeiten, wenn Menschen dies können und wollen."

"Das ist Umverteilung zu Lasten der jüngeren Generationen"
Eine steigende Lebensarbeitszeit bedeutet laut Fratzscher nicht automatisch eine schleichende Rentenkürzung. Man könne durchaus intelligente Lösungen finden. Es dürfe nicht darum gehen, jemanden dafür zu bestrafen, wenn er früher in Rente geht.

Es gehe umgekehrt darum, Anreize und Möglichkeiten zu schaffen, länger zu arbeiten. "Aber grundsätzlich gilt natürlich, dass die eingezahlten Beiträge in einem vernünftigen Verhältnis zu den ausgezahlten Renten stehen müssen. Wenn aber länger Rente bezogen wird, muss das Geld dafür irgendwo herkommen", so Fratzscher. "Jetzt verspricht die Politik den Älteren etwas, das jüngere Generationen bezahlen müssen. Das ist Umverteilung zu Lasten der jüngeren Generationen."

"Wir müssen den Menschen reinen Wein einschenken"
Der Ökonom kritisiert die CDU, die auf die gesicherte Finanzierung der Rente in den nächsten zehn Jahren verweist. Das sei gegenüber den jetzt 45-, 50- oder 66-Jährigen unfair. "Die müssen doch wissen, wie das für sie aussieht, wenn sie in Rente gehen. Die brauchen Planbarkeit", fordert Fratzscher. "Stattdessen werden ihnen falsche Versprechungen gemacht. Wir müssen den Menschen reinen Wein einschenken und rechtzeitig über das Thema diskutieren. Und rechtzeitig ist jetzt."

"Das ist in jedem Fall kein Pappenstiel"
Auf die Frage, ob die Rente mit 70 also auf jeden Fall kommen muss, antwortet Fratzscher: "Ja, sie muss kommen. Wenn auch nicht für alle." Man wisse zwar nicht, wie sich Geburtenraten, Zuwanderung oder Löhne entwickeln, aber keiner dieser Faktoren werde sich so dramatisch ändern, dass sich grundlegend etwas ändere.

Beispielsweise würden sich mehr Geburten erst viel später auswirken. "Selbst wenn es sehr günstig läuft, wird die Zahl der Beschäftigten bei uns bis 2040 um drei Millionen Menschen abnehmen, im schlechtesten Fall um zehn Millionen. Das ist in jedem Fall kein Pappenstiel", sagt Fratzscher abschließend. (mb)