Die Deutschen lieben, wider besseren Wissens, Sparbücher, Giro- und Tagesgeldkonten. Also sind sie die Verlierer der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) – so zumindest die weitverbreitete Meinung, die ihnen auch von hochoffizieller Seite permanent bestätigt wird. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält dagegen und bezeichnet die Deutschen in einer Kolumne bei "Zeit Online" im Gegenteil sogar als tatsächliche Gewinner der verhassten EZB-Strategie.

Schließlich seien viele Deutsche gar keine Sparer, weil ihnen schlicht das Geld dazu oder aus persönlichen Gründen der private Anreiz fehlt, ihre Vorsorge beizeiten in die Hand zu nehmen. "40 Prozent der erwachsenen Deutschen haben kein nennenswertes Vermögen. Fast nirgends in den entwickelten Volkswirtschaften gibt es einen so hohen Anteil an Menschen, die nicht sparen und damit auch keine private Altersvorsorge betreiben", schreibt Fratzscher. Ob die Zinsen dann bei null oder zehn Prozent liegen, kann ihnen herzlich egal sein.

Viel wichtiger ist nach seinem Dafürhalten, dass die meisten Bundesbürger Erwerbstätige und Konsumenten sind. Sie profitieren darum von stabilen Preisen und einem sicheren Arbeitsmarkt. Beides werde auch und gerade in Nach-Finanzkrisen-Zeiten befördert durch die EZB, führt der DIW-Chef aus. "Die Geldpolitik hat durch niedrige Zinsen ganz entscheidend dazu beigetragen, dass Unternehmen expandieren und dadurch Menschen einstellen und beschäftigen können."

Deutsche sind Mit-Verursacher der niedrigen Zinsen
Wer sich auch von diesen Argumenten nicht überzeugen lasse, dem ruft der DIW-Chef den Ursprung der Nullzinspolitik in Erinnerung: "Die niedrigen Zinsen sind nicht primär das Resultat der EZB-Geldpolitik, sondern die Folge des exzessiven Sparens – vor allem von uns Deutschen." Wie bei allen Gütern gelte das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Und der Preis des Geldes sei nun mal der Zins. Der steige demnach erst dann wieder, wenn unter anderem die Bundesbürger wieder mehr Geld ausgeben und weniger auf die hohe Kante legen – oder stattdessen anlegen. (fp)