Als der Dow-Jones-Industrial-Index 1896 an den Start ging, sah die Welt aus wirtschaftlicher Sicht völlig anders aus als heute. Eisenbahngesellschaften, Stahlkocher, Elektrizitätswerke, Textilfabrikanten und Dampfmaschinenhersteller dominierten die Szenerie – zusammengefasst in einem einzigen Firmenkonglomerat, dass die wichtigsten Industriezweige in sich vereinte wie kein anderes US-Unternehmen: General Electric, dessen Wurzeln bis zurück zum legendären Glühbirnen-Erfinder Thomas Edison reichen.

Dem Ökonomen und Journalisten Charles Dow erschien es daher nur logisch, dass der Anteilschein von General Electric (GE) zu jenen zwölf Mitgliedern zählen würde, mit denen "sein" Index startet. So war es denn auch – und so blieb es, mit kurzen Unterbrechungen, ganze 120 Jahre lang.

Doch demnächst könnte dem Stammmitglied die Clubkarte zum amerikanischen Index-Oberhaus dauerhaft entzogen werden. Und das liegt nicht nur, aber auch an der enttäuschenden Performance der Aktie, die allein in den vergangenen zwölf Monaten ein Drittel ihres Wertes einbüßte und die auch in diesem Jahr die rote Schlusslaterne im Dow Jones hält. Vor allem aber hat es mit der skurrilen Bauweise des altehrwürdigen US-Leitindex zu tun.

Von allen guten Geistern verlassen
Lange Zeit war General Electric über jeden Zweifel erhaben. Ebenso wie die US-Firmenlandschaft wandelte sich auch der Branchenmix des Traditionsunternehmens permanent. Mit sicherem Blick griff das jeweilige Management frühzeitig Trends auf und investierte in vielversprechende Wachstumsbranchen wie Medien, Verbraucherkredite und Immobilienfinanzierung, Haushalts- und Laborgeräte, Medizintechnik und Turbinenbau – und stieß diese ebenso emotionslos ab, wenn sich die ehrzeigen Gewinnziele nicht erfüllten. Insofern galt die Industrie-Ikone stets als Paradebeispiel dafür, dass nicht nur hochspezialisierte Mittelständler, sondern selbst Konzernkolosse wie General Electric (Jahresumsatz 2016: 123,7 Milliarden US-Dollar, 295.000 Beschäftigte) auf der Höhe der Zeit und agil bleiben können.

Doch diesen Nimbus ist der Riese längst los. Der langjährige Vorstandschef Jeffrey Immelt verordnete dem Giganten nach der Jahrtausendwende eine Schlankheitskur, verkaufte zahlreiche Sparten und steckte dafür viel Geld in das Geschäft mit Kraftwerksturbinen und die Herstellung von Equipment für die Öl- und Gasförderung – zwei Märkte, die seit Jahren unter schwächelnden Erträgen infolge niedriger Energie- und Rohstoffpreise leiden.

Immelts Nachfolger, der erst seit drei Monaten amtierende John Flannery, musste vor wenigen Tagen schwächer als erwartete Quartalszahlen berichten und seine eigenen Gewinnprognosen für das Jahr um ein Drittel senken. Den um zehn Prozent auf 1,8 Milliarden Dollar gefallenen Profit bezeichnete er als "gelinde gesagt nicht akzeptabel" und kündigte größere Veränderungen ohne Rücksichtnahme auf "heilige Kühe" an.

Aktie bleibt auf Tauchstation
Dem schwächelnden Anteilschein half das nicht auf die Beine. Im Gegenteil: Kurz nach Bekanntgabe der miesen Quartalsresultate sackte der Kurs um weitere sechs Prozent ab – und markierte damit den höchsten Tagesverlust seit sechs Jahren. Analysten fürchten nun, dass Flannery auch die Aktionäre zur Kasse bitten wird und ihnen eine drastische Dividendenkürzung zumutet. Dabei ist gerade die hohe Dividendenrendite ein Markenzeichen des Unternehmens.

Dass die Wall Street nun sogar einen Indexrausschmiss von General Electric für möglich hält, hat mit der Bedeutung des Unternehmens für die US-Börse nichts zu tun. Mit einer Marktkapitalisierung von immer noch knapp 157 Milliarden Dollar ist General Electric kein Leichtgewicht, sondern rangiert im Mittelfeld der 30 Dow-Jones-Mitglieder. Andere Indexfirmen wie Nike, American Express oder Goldman Sachs sind bedeutend kleiner. Doch darauf kommt es beim Dow Jones nicht an.

Irrsinnige Index-Konstruktion
Es ist allein der Kurs der GE-Aktie von nur noch knapp 22 US-Dollar, der das Abschiedsglöckchen läutet. Denn anders als moderne Börsenbarometer wie der Dax oder der amerikanische Konkurrenzindex S&P 500, bei denen der Börsenwert ihrer Mitglieder eine richtungsweisende Rolle spielt, erfolgt die Berechnung des Dow Jones nach simpler Arithmetik.

Die Aktie mit dem jeweils höchsten nominalen Kurs ist gleichzeitig auch die, deren Gewicht im Dow Jones am größten ist – und umgekehrt. Momentan ist der tonangebende Anteilschein der des Flugzeugherstellers Boeing mit einem Kurs von rund 260 US-Dollar – und damit mehr als dem Zehnfachen dessen, was das gerupfte General-Electric-Papier noch aufzubieten hat.

Gnade vor Recht?
Bis heute widersetzen sich die "Macher" des Dow Jones jedweden Forderungen nach einer gründlichen Modernisierung des Indexrelikts hartnäckig. Genau deshalb wäre ebenso denkbar, dass man bei der verblassten Industrie-Ikone General Electric nochmal Gnade vor Recht ergehen lässt.

Objektiv nachvollziehbare Kriterien, wer bleibt und wer geht, sind dem Indexgremium, das über die Zusammensetzung des Marktbarometers in geheimer Abstimmung entscheidet, ohnehin schnuppe. Für General Electric als Urmitglied könnten also auch traditionsbedingte Sonderrechte zum Zuge kommen. (ps)