Die Niedrigzinspolitik im Euroraum seit 2008 hat die Zinseinkommen im Währungsgebiet unter dem Strich nicht belastet, sondern sogar gestärkt. Dies geht aus dem neuesten Wirtschaftsbericht der Europäischen Zentralbank (EZB) hervor. Die Notenbanker betrachten in ihrer Studie die Auswirkungen ihrer Niedrigzinspolitik auf die sogenannten Nettozinseinkommen, also auf die Zinserträge (etwa auf Spareinlagen) abzüglich der Zinsaufwendungen (zum Beispiel für Kredite).

Von diversen Kommentatoren – insbesondere aus Deutschland – wurde immer wieder dargelegt, dass dieser Saldo tendenziell negativ sei, Bürger also unter den Minizinsen leiden. Oder anders ausgedrückt: Dass die schrumpfenden Sparerträge nicht annähernd wettgemacht werden durch die zinsbedingt fortschreitende Verbilligung der Kredite, etwa für den Immobilienkauf. "Stimmt nicht", heißt es nun vonseiten der Notenbanker.

Für den gesamten Euroraum kommt die EZB zu dem Resultat, dass die Niedrigzinsen die Nettozinseinkommen positiv beeinflusst haben. Über die Währungsunion hinweg profitierten der Studie zufolge vor allem Unternehmen aus dem Nicht-Finanzsektor sowie die Staaten. Das Zinseinkommen der Finanzunternehmen sei dagegen unter dem Strich tatsächlich belastet worden. Bei privaten Haushalten sei der Nettoeffekt weitgehend neutral gewesen.

Unterschiedliche Ergebnisse
Je nach Land fallen die Resultate allerdings sehr unterschiedlich aus. So hätten die privaten Haushalte in Finnland, den Niederlanden und Spanien aufgrund ihrer hohen Verschuldung vom allgemeinen Zinsrückgang profitiert, erklärt die EZB.

Im Gegensatz dazu seien die Nettozinseinkünfte der Haushalte in Belgien, Österreich und Italien deutlich belastet worden. In Deutschland, Frankreich und Portugal sei die Veränderung für die privaten Haushalte unter dem Strich vernachlässigbar. 

"Eigenwillige Betrachtungweise"
​Beobachter kommen jedoch zu einem völlig anderen Ergebnis als die Notenbank. So sieht etwa die DZ Bank durchaus eine akute Zinsfalle: Die Zinsarmut sei zum Dauerzustand geworden, eine Wende nicht in Sicht. Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank, spricht denn auch von einer "sehr eigenwilligen Betrachtungsweise“ der EZB-Analysten, gerade mit Blick auf die deutschen Verhältnisse. "Die EZB berücksichtigt bei der Berechnung nicht die Anlagen bei Lebensversicherungen. Dies macht in Deutschland rund 40 Prozent der verzinsten Einlagen der deutschen Haushalte aus“, betont er einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge.

Bielmeier hat akribisch nachgerechnet, welche Folgen die Niedrigzinsen für das Vermögen der Deutschen haben. Den Nachteilen geringerer Einkünfte aus verzinslichen Anlagen stehen demnach Vorteile bei Zinszahlungen für Kredite gegenüber, doch der Malus überwiegt bei Weitem: Den Zinseinbußen auf Geldvermögen privater Haushalte im Bereich Einlagen, Renten und Versicherungen in Höhe von 343,6 Milliarden Euro in der Zeit von 2010 bis 2016 steht laut der DZ-Bank-Berechnung nämlich nur eine Zinsersparnis bei den Krediten von 144,7 Milliarden Euro gegenüber. (fp/ps)