Die EU-Kommission hat erstmals konkrete Vorschläge vorgestellt, mit der sie ihren im März präsentierten Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzsystem umsetzen will. Grundsätzlich begrüßen die Finanzmarktteilnehmer, dass die Nachhaltigkeit am Sektor größeres Gewicht erhält. Aber angesichts neuer Regulierungen sind viele alarmiert.

Ziel der EU-Kommission ist es grob gesprochen, die Kapitalflüsse so zu lenken, dass sie ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem besser fördern. Nachhaltigkeit soll außerdem stärker in das Risikomanagement integriert und nachhaltige Finanzprodukte sollen transparenter gestaltet werden. Insgesamt sollen zehn Maßnahmen bis zum zweiten Quartal 2019 auf dem Tisch liegen. Vier davon wurden nun präsentiert.

"Taxonomie" und Investorenpflichten
Verlangt wird zum Beispiel ein EU-weit einheitliches EU-Klassifikationssystem ("Taxonomie"): Die Kommission will festlegen, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten ökologisch nachhaltig sind. Es wird eine Sachverständigengruppe eingerichtet, die die Kommission dabei beraten wird. Das soll den Investoren als Grundlage für ihre Investmententscheidung dienen.

Geregelt werden auch die Investorenpflichten: Die vorgeschlagene Verordnung soll Klarheit schaffen, "wie institutionelle Anleger, etwa Vermögensverwalter, Versicherungsunternehmen, Pensionsfonds oder Anlageberater, die Faktoren Umwelt, Soziales und Governance (ESG-Faktoren) in ihren Investitionsentscheidungsprozessen berücksichtigen sollten". Diese Vorschriften sollen durch delegierte Rechtsakte präzisiert werden, die die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt erlassen wird.

Darüber hinaus müssen Vermögensverwalter und institutionelle Anleger künftig nachweisen, inwieweit ihre Investitionen an ESG-Zielen ausgerichtet sind. Sie müssen offenlegen, in welcher Weise sie ihren Pflichten nachkommen.

CO2-Standards und Kundenberatung
Eingeführt werden sollen darüber hinaus Referenzwerte für geringe CO2-Emissionen: Einerseits soll es einen Referenzwert geben ("Dekarbonisierungsvariante" von Standardindizes), andererseits einen Referenzwert für positive CO2-Effekte. Das soll zu einer besseren Information der Anlegern über den CO2-Fußabdruck eines Investitionsportfolios führen.

Ebenfalls vorgelegt wurde der Vorschlag einer besseren Kundenberatung in Sachen Nachhaltigkeit: Die Kommission ermittelt gerade, wie sich ESG-Aspekte am besten in die Beratung von Privatkunden durch Wertpapierfirmen und Versicherungsvertreiber integrieren lassen. Am Ende soll dadurch die delegierte Rechtsakte Mifid-II-Richtlinie und zur Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) entsprechend abgeändert werden. Bei der Beurteilung, ob ein Anlageprodukt den Kundenbedürfnissen entspricht, sollten die betreffenden Unternehmen nach den vorgeschlagenen Vorschriften außerdem die Nachhaltigkeitspräferenzen der jeweiligen Kunden berücksichtigen, heißt es.

EU streng, Finanzbranche alarmiert
"Alle Finanzunternehmen, die Anlagen im Namen ihrer Kunden oder Begünstigen verwalten, werden diese künftig darüber unterrichten müssen, inwieweit sich ihre Tätigkeiten auf den Planeten oder auf die Umwelt vor Ort auswirken. Somit verschaffen die betreffenden Vorschriften Anlegern, die in die Zukunft des Planeten investieren und gleichzeitig eine Rendite erzielen wollen, größere Auswahlmöglichkeiten", heißt es aus der EU-Kommission.

Für die Finanzbranche, die aktuell mit den Mehraufwänden durch Mifid II und IDD zu kämpfen hat, bedeutet das eine neue Herausforderung. Zum Beispiel warnt man bei Union Investment davor dass der ohnehin komplexe Anlageprozess noch einmal verkompliziert werden könnte.

"Vermögensverwalter ist dem Anleger verpflichtet"
Ein einheitliches Klassifizierungssystem für nachhaltige Vermögenswerte oder die Klarstellung der Nachhaltigkeitspflichten seien positiv. Aber: "Es muss genug Raum bleiben, Investments individuell auszugestalten, so dass sie unterschiedlichen Kundengruppen und Rendite-Risiko-Profilen gerecht werden“, betont Alexander Schindler, Vorstandsmitglied von Union Investment.

Beim Risikomanagement könne die Integration von ESG-Aspekten "erhebliche Vorteile“ bringen. Man könne so die klassische Fundamentalanalyse sinnvoll ergänzen. Allerdings dürften die ESG-Vorgaben für Anlagestrategien "nicht ins regulatorische Pflichtenheft geschrieben werden. Der Vermögensverwalter ist als Treuhänder zunächst dem Anleger verpflichtet. Anleger müssen weiterhin frei entscheiden dürfen, ob und in welchem Umfang sie Nachhaltigkeitsgesichtspunkte berücksichtigen wollen“, so Schindler. Die Initiative für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien sollte vom Anleger ausgehen. Und es gelte, die ohnehin hohe Komplexität in der Anlageberatung nicht weiter zu erhöhen, so Schindler.

"Kulturelle Unterschiede"
Deutlich hatte sich auch Allianz Global Investors (AGI) schon früher zu Eingriffen der EU-Kommission geäußert: "Die Integration von nachhaltigen Kriterien ist ein großes Thema für die Branche. Allerdings gibt es kulturelle Unterschiede. Hierzulande sind Investments in Atomkraft tabu, in Frankreich hingegen vollkommen in Ordnung. (...) Der Staat schreibt den Menschen auch nicht vor, in welcher Farbe sie ihr Auto kaufen sollen", hatte Tobias Pross, AGI, Leiter Europa, Nahost und Afrika unlängst gemeint.

Noch konkreter war bereits zu einem früheren Anlass Hans Jochim Reinke, Vorstandschef von Union Investment: "Deutlich gesagt: Für private Anleger halte ich eine Verpflichtung zu nachhaltigen Investments für Quatsch". (eml/ert)