Neben seiner Funktion als Senior Visiting Fellow am European Institute der London School of Economics arbeitet Philippe Legrain als freier Autor, Philosoph und Berater. Er war von 2011 bis 2014 als wirtschaftlicher Berater von José Manuel Barroso, damaliger Präsident der Europäischen Kommission, tätig und rief vor einiger Zeit einen Thinktank mit dem Namen "OPEN: the Open Political Economy Network" ins Leben. Lesen Sie im Anschluss seinen Original-Kommentar.


So viel zum angeblichen Ende der Geschichte. Genau 27 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, der den Zusammenbruch des Kommunismus in Europa besiegelte, bringt die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten die liberale internationale Ordnung in Gefahr, die von seinen klügeren und toleranteren Vorgängern aufgebaut wurde.

Unter Trumps "globalisierungskritischer" Agenda unter dem Motto "Amerika zuerst" drohen protektionistische Handelskriege, ein weltweiter "Zusammenprall der Zivilisationen", die Gefährdung des Friedens in Europa und Ostasien und weitere Gewalt im Nahen Osten. Seine völkischen und autoritären Ansichten untergraben auch die gemeinsamen Werte, das Vertrauen in die liberale Demokratie und die Wahrnehmung einer wohlwollenden amerikanischen Hegemonie, von der das auf Regeln beruhende internationale System abhängt. Die Vereinigten Staaten, die sich relativ betrachtet bereits im Niedergang befinden, sind nun bereit, sich voller Wut vor der Welt zurückzuziehen.

Optimisten hoffen, Trump habe seine Aussagen während des Wahlkampfs nicht so gemeint, er werde sich mit bewährten internationalen Beratern umgeben und seine wilderen Instinkte könnten durch die Gewaltenteilung des politischen Systems der USA abgemildert werden. Das müssen wir wirklich hoffen. Aber nichts in seinem Temperament spricht dafür. Und angesichts dessen, dass die Republikaner die Kontrolle über sowohl den Senat als auch das Repräsentantenhaus haben werden, kann Trump freier regieren als die meisten Präsidenten vor ihm. Dies trifft insbesondere auf die Handels- und Außenpolitik zu, wo der US-Präsident viel größeren Handlungsspielraum genießt – und wo der Schaden, den er anrichten könnte, groß und folgenschwer ist.

Beginnen wir mit dem Handel. Die Globalisierung hat sich in den letzten Jahren bereits verlangsamt. Jetzt droht Trump, endgültig den Rückwärtsgang einzulegen. Auf jeden Fall macht sein Sieg die schwachen Hoffnungen auf den Abschluss zweier großer Handelsabkommen zunichte, die von der Regierung Barack Obamas vorbereitet wurden: der fertigen, aber noch nicht verabschiedeten Transpazifischen Partnerschaft (TPP) mit elf pazifischen Staaten und der auf Eis gelegten Transatlantischen Handels und Investitionspartnerschaft (TTIP) mit der Europäischen Union.

Ebenso hat Trump versprochen, das Nordamerikanische Freihandelabkommen (NAFTA) mit Kanada und Mexiko neu zu verhandeln. Schlimmer noch, er will chinesische Importe mit Zöllen belegen, was zweifellos zu einem Handelskrieg führen würde. Er hat sogar davon gesprochen, aus der Welthandelsorganisation (WHO) auszutreten, dem multilateral geregelten internationalen Handelssystem.

Angesichts einer solchen Agenda besteht nicht nur die Gefahr einer globalen Rezession. Manche Regionen könnten sich gar in rivalisierende Handelsblöcke aufspalten – was vor allem für Großbritannien nach dem Brexit, das sich von der Europäischen Union unabhängig machen will, eine düstere Aussicht ist. In Asien könnte der Zusammenbruch der TPP, an der die Obama-Regierung unklugerweise China nicht beteiligt hat, den Weg dafür bereiten, dass die Chinesen ihren eigenen Handelsblock aufbauen.

Trumps Sieg bedroht in Ostasien nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Sicherheit. Indem er sich vom Freihandel zurückzieht und Zweifel an den US-Sicherheitsgarantien für seine Verbündeten weckt, könnte er Japan, Südkorea und andere dazu veranlassen, sich zum Schutz vor einem aufstrebenden China um Nuklearwaffen zu bemühen. Vor allem die Philippinen könnten zu dem Schluss kommen, ein Schmusekurs mit China sei sicherer, als sich auf ein immer isolationistischeres Amerika zu verlassen.

Auch die Sicherheit Europas wird durch Trumps Sieg untergraben. Seine Bewunderung für Wladimir Putin, den autoritären Führer Russlands, ist alarmierend. Putin betrauert das Aufbrechen der Sowjetunion, will den Einflussbereich Russlands auf die Nachbarschaft des Landes wieder stärken und ist bereits in Georgien und der Ukraine einmarschiert. Trumps Andeutung, sein Engagement für die Verteidigung der NATO-Verbündeten sei von Bedingungen abhängig, könnte Putin dazu einladen, noch weiter zu gehen.

Am höchsten ist das Risiko für die baltischen NATO-Republiken Estland, Lettland und Litauen, die einst Teil der Sowjetunion waren und über große russische Bevölkerungsminderheiten verfügen. Zwar könnte die EU eine gemeinsame Bedrohung von außen zum Anlass nehmen, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen und ihre Sicherheitszusammenarbeit zu vertiefen, aber die EU-skeptischen, von Sparmaßnahmen geplagten europäischen Wähler könnten dazu keine große Lust haben. Tatsächlich scheinen viele europäische Regierungen versucht zu sein, Putin zu beschwichtigen, anstatt ihm entschieden entgegen zu treten.

In Amerika droht Trumps offener Rassismus, seine Ablehnung spanischsprachiger Einwanderer und seine islamophobe Rhetorik, einen Kulturkampf auszulösen – oder gar gewalttätig zu enden. Auch könnte so die Bühne für den "Zusammenprall der Zivilisationen" bereitet werden, vor dem einst der verstorbene Samuel Huntington gewarnt hat. Druck auf Mexiko, um das Land zu zwingen, für die enorme Grenzmauer zu bezahlen, die Trump bauen will, wäre ein Akt der Feindschaft gegenüber allen Latinos. Und Muslime als Feinde zu betrachten – und ihnen die Einreise nach Amerika zu verwehren, wie er es während seiner Wahlkampagne versprochen hat – wäre ebenso wie der Vorschlag, die USA sollten die Ölfelder des Irak für sich selbst behalten, eine machtvolle Rekrutierungshilfe für den Islamischen Staat und Al-Kaida.

Den am längsten anhaltenden Schaden würde wohl das Image der USA und ihrer liberalen Demokratie erleiden. Die Wahl eines rassistischen Präsidenten mit faschistischen Tendenzen stellt eine Anklage gegen das politische System Amerikas dar. Trump selbst hat seine Verachtung gegenüber der Demokratie gezeigt, als er sagte, er werde im Fall seiner Niederlage das Wahlergebnis nicht anerkennen, und drohte, seine Gegnerin ins Gefängnis zu werfen. Nicht nur die chinesischen Politiker werden ein System, wo nüchterne Überlegung durch Lügen, Hass und Unwissenheit ersetzt wird, für mangelhaft halten. Amerika ist nicht mehr die "leuchtende Stadt auf dem Hügel", wie es von einigen Präsidenten genannt wurde.

An der Macht sind nun die Rebellen, die sich gegen das Establishment wenden. Verständlicherweise haben viele Wähler nach der Finanzkrise und ihren umwälzenden wirtschaftlichen Veränderungen das Vertrauen in die westlichen Eliten verloren, die sie als inkompetent, korrupt und realitätsfern erleben. Weiterhin machen sie – fälschlicherweise – die Einwanderer für ihre Probleme verantwortlich und fühlen sich von sozialer Liberalisierung bedroht. In Ermangelung positiver Alternativen zu einem zutiefst fehlerhaften Status Quo besteht die große Gefahr einer noch größeren Gegenreaktion. Auch wenn dies anhand der Umfragen unwahrscheinlich erscheint, könnte die französische Präsidentschaftswahl im nächsten Mai durchaus von Marine Le Pen und ihrer rechtsradikalen Nationalen Front gewonnen werden. Dies würde dem Euro, der EU und dem Westen einen heftigen Schlag versetzen.

Liberale Internationalisten können es sich jetzt nicht erlauben, untätig zu sein. Trumps Sieg ist eine Katastrophe – und es kann noch viel schlimmer kommen. Um ängstliche Wähler zurück zu gewinnen, müssen wir unsere offenen, liberalen Gesellschaften verteidigen und positive Veränderungen anbieten. (mb)

© Project Syndicate, www.project-syndicate.org