"Wenn ich mir die jüngsten Daten anschaue, würde ich sagen, dass die Sorgen, die wir im Juli hatten, nicht zerstreut wurden”, so die Einschätzung von EZB-Direktorin Isabel Schnabel im Interview mit der Agentur "Reuters". Der Schub für die Preise sei mittlerweile "breit angelegt", er erfasse inzwischen auch Dienstleistungen und Industriegüter. "Ich würde nicht ausschließen, dass die Inflation kurzfristig weiter steigen wird." 

Die meisten Maße für die Inflationserwartungen seien noch immer verankert. Eine Reihe von Indikatoren belegten aber ein gestiegenes Risiko für eine Entankerung, so die EZB-Direktorin. Die Zinsentscheidung im September werde auf Basis der bis dahin vorliegenden Daten erfolgen.

Schnabels Äußerungen sind die bisher konkretesten zum künftigen Zinspfad der EZB, nachdem die Entscheidungsträger im vergangenen Monat beschlossen hatten, den Umfang der bevorstehenden Zinserhöhungen nicht mehr anzugeben. Die sich verschlechternden Inflationsaussichten hatten die EZB-Entscheider veranlasst, auf ihrer vergangenen Sitzung energischer zu handeln, als sie es zuvor angekündigt hatten. Es entstand eine Debatte darüber, ob es sinnvoll sei, bei großer Unsicherheit vorzeitig zu handeln.

Keine Anzeichen für lang anhaltende, tiefe Rezession
"Selbst wenn wir in eine Rezession eintreten, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass der Inflationsdruck von selbst abklingen wird", erklärte Schnabel. Anzeichen für eine lang anhaltende, tiefe Rezession sehe sie jedoch nicht. Es sei noch nicht einmal klar, ob es in der Eurozone überhaupt zu einer technischen Rezession komme werde. Sie würde es aber nicht ausschließen, fügte Schnabel hinzu. 

Der Arbeitsmarkt des Euroraums bleibe "sehr stark". Er sei geprägt durch einen anhaltenden akuten Arbeitskräftemangel, eine historisch niedrige Arbeitslosigkeit und eine hohe Zahl freier Stellen. Selbst bei einem Abschwung dürften die Unternehmen nur sehr zögerlich in der Lage sein, so Schnabel, auf breiter Front Arbeitskräfte zu entlassen. Dies sollte in den nächsten Monaten den privaten Konsum stützen, zusammen mit einem fiskalpolitischen Schub, der helfe, einen Teil der Inflationsbelastung abzufedern. (mb/Bloomberg)