Der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Luis de Guindos, sagte am Mittwoch (28.6.) im Gespräch mit "Bloomberg TV", der zugrunde liegende Inflationsdruck könnte sich als hartnäckiger erweisen als derzeit erwartet. Eine starke Urlaubssaison im Sommer dürfte das Preisniveau im Dienstleistungsbereich in die Höhe treiben. "Ich denke, der Juli ist eine beschlossene Sache", erläuterte de Guindos am Rande des EZB-Symposiums im portugiesischen Sintra. Im Bezug auf den September indessen sei die Entscheidung "offen".

Im EZB-Rat wird die Debatte darüber immer hitziger, wann der beispiellose Zinserhöhungszyklus unterbrochen werden sollte. Einige haben signalisiert, dass nach der geplanten Zinsanhebung im Juli ein guter Zeitpunkt für eine Bestandsaufnahme gekommen sein könnte. Andere argumentieren mit Blick auf die hartnäckige Kerninflation, dass auch im Herbst eine weitere Straffung der Geldpolitik erforderlich sein könnte. EZB-Chefin Christine Lagarde hat in Sintra erklärt, der Zinsgipfel im Euroraum sei noch nicht in Reichweite. Sie konstatierte eine "zweite Phase des Inflationsprozesses", in der die Arbeitnehmer einen "Aufholprozess" bei den Löhnen anstreben, um Einkommensverluste auszugleichen.

Warnungen vor übermäßiger Straffung
Auch die Politik mischt sich in die Diskussion ein. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni warnte davor, dass die Straffung zu einer "Medizin werden könnte, die mehr schadet als nützt". Innerhalb der EZB äußerte sich der portugiesische Notenbankchef Mario Centeno am zurückhaltendsten. Er sagte, eine übermäßige Straffung wäre "im Grunde genommen nicht akzeptabel". "Wir sehen keine klaren Anzeichen für Zweitrundeneffekte", sagte er gegenüber "CNBC". "Die Wirtschaft ist bereits in Mitleidenschaft gezogen. Und wenn die Wirtschaft einen Schlag einsteckt, wird die Inflation reagieren."

Mit Blick auf das Wirtschaftswachstum im Euroraum sagte de Guindos, dass sich die jüngst beobachtete Verlangsamung wohl in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen werde. "Ich denke, einige dieser Abwärtsrisiken haben begonnen, sich zu materialisieren und werden viel sichtbarer", führte er aus. "Die Daten, die wir zum Wachstum erhalten, sind nicht sehr gut." (Bloomberg/ohm)