Innerhalb der vergangenen zwei Jahre schraubte die Europäische Zentralbank (EZB) die Euro-Leitzinsen um 450 Prozentpunkte auf das Rekordhoch von vier Prozent für die Einlagefazilität nach oben. Dieses Jahr stehen nach allem Ermessen die von Anlegern herbeigesehnten Zinssenkungen an. Dabei stellen sich zwei Fragen: Wann wird die EZB die Zinsen senken – und wie rasch? Hinweise dazu erhoffen sich die Anleger von der kommenden Zinsentscheidung am Donnerstag (25.1.).

Vor wenigen Tagen bereits ließ EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos durchblicken, dass erste Zinssenkungen im Sommer dieses Jahres im Raum stehen könnten. Das halten viele Experten für plausibel. So etwa Ulrike Kastens, Europa-Volkswirtin bei der DWS, auch wenn sie nicht erwartet, dass Lagarde diese Woche Näheres zum Timing der ersten Zinssenkung sagen wird: "Die EZB dürfte auf der Pressekonferenz weiterhin die Datenabhängigkeit betonen, aber dennoch die Tür für Zinssenkungen einen Spalt weit aufmachen", so Kastens. Eine erste Senkung hält sie im Juni für wahrscheinlich. Auch Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, sagt: "Eine schwacher Konjunkturausblick und rückläufige Inflationsraten im Euroraum dürften der EZB noch vor der Jahresmitte 2024 einen ersten Zinssenkungsschritt ermöglichen."

Markt könnte zu viele Zinssenkungen einpreisen
Aktuell preist der Markt bis zu sechs Zinssenkungen für 2024 ein. Felix Feather, Volkswirt bei Abrdn, sagt: "Die EZB wird mit ziemlicher Sicherheit andeuten, dass sie die Markterwartungen für überzogen hält." Auch DWS-Analystin Kastens glaubt nicht, dass die EZB die Zinsen sehr rasch senken wird: "Wir teilen den Optimismus vieler Marktteilnehmer nicht, dass die EZB die Leitzinsen sehr schnell und sehr deutlich senken wird." HQ-Trust-Ökonom Heise mahnt, dass bei der Inflation noch keine vollumfängliche Entwarnung gegeben werden kann. Das hat seiner Meinung nach Folgen für die EZB: "Gerade nach den Fehlern bei der Einschätzung und Bekämpfung der Inflation 2021 und 2022 wird die EZB nicht vorschnell lockern; konkrete Schritte der Zinspolitik sind erst zu erwarten, wenn die rückläufigen Trends bei der Inflation einige Monate Bestand haben." Ähnlich sieht das Katharine Neiss, Chefvolkswirtin für Europa bei PGIM Fixed Income. Ihrer Meinung nach deutet die rapide Verschlechterung der Konjunktur zum Ende des vergangenen Jahres zudem darauf hin, dass die EZB 2023 womöglich zu stark an der Zinsschraube gedreht und damit einen stärkeren Abschwung als nötig herbeigeführt hat.

Im Dezember stieg die Teuerung im Euroraum wieder leicht auf 2,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat; die aussagekräftigere Kerninflation gab etwas nach – liegt aber bei 3,4 Prozent. Die EZB hat im Dezember ihre Inflationsprojektionen für 2024 und 2025 für die Eurozone gesenkt: Für das laufende Jahr rechnen die Notenbanker nun mit 2,7 Prozent und für 2025 mit 2,1 Prozent Teuerung. Beim Wirtschaftswachstum erwarten sie nach 0,8 Prozent 2024 eine Beschleunigung auf 1,5 Prozent 2025. Die nächsten Projektionen werden im März vorgestellt und dürften eine wichtige Grundlage für den weiteren Zinspfad darstellen.

Fortschritte bei Kaufprogrammen
Bei der Rückführung ihrer Anleihenkäufe machte die EZB zuletzt deutliche Fortschritte. Bereits seit Juli 2023 reinvestiert die Notenbank die freiwerdenden Mittel auslaufender Anleihen aus dem Asset Purchase Program (APP) nicht mehr. Auch beim Pandemie Notfallankaufprogramm (PEPP) werden die Reinvestitionen reduziert und sollen ab Mitte 2024 auslaufen. Damit tritt die EZB als wichtiger Anleihenkäufer nach und nach ab, während zugleich infolge der steigenden Staatsverschuldung mehr Euro-Staatsanleihen auf den Markt kommen dürften. Die nach Jahren der Niedrigzinsen hohe Nachfrage vor allem institutioneller Investoren nach höher verzinsten Euro-Anleihen sollte die Anleihenkurse dagegen stützen. (jh)