Kaum eine Woche vergeht, in der nicht die Rede von Fintechs ist: jungen Technologiefirmen, die die Wertschöpfungsketten von Banken und Versicherern sprengen wollen. Medien, zu denen auch FONDS professionell ONLINE zählt, schenken den aufstrebenden Finanz-Start-ups viel Aufmerksamkeit – zu viel, findet das Wirtschaftsmagazin Capital.

Deren Redakteure haben hinter die Kulissen einer vor Selbstbewusstsein strotzenden Branche geschaut und mit Gründern sowie Risikokapitalgebern gesprochen um herauszufinden, ob die Armee der Fintechs tatsächlich das Zeug hat, klassische Banken, Versicherer, Asset Manager und Bezahldienste in absehbarer Zeit vom Thron zu stoßen.

Das Urteil der Redaktion lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Nein! Denn, so das skeptische Fazit: "Den wenigsten Fintechs, jedenfalls in Deutschland, gelingt es bislang, aus ihren Innovationen ein tragfähiges Geschäftsmodell zu schmieden."

Ungute Erinnerungen werden wach
Rund 400 Fintechs gibt es inzwischen hierzulande. Vieles an der aktuellen Debatte erinnert die Capital-Redaktion an die Hysterie und das "Gründerfieber" an der Boom-Börse "Neuer Markt" – kurz vor deren Kurskollaps.

"Noch das kleinste Start-up ist Medien große Porträts wert", heißt es in dem Artikel. Bei Google explodierten die Suchanfragen zum Thema, und als Ende Februar bekannt wurde, dass Ex-Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain zum Fintech Social Finance wechselt (FONDS professionell ONLINE berichtete), wurde das als Zeitenwende gedeutet.

Schmallippige Manager...
Trotz vielversprechender Ideen wie rechnergestützter Anlage-Beratung oder dem Finanzmanager per App: Schwarze Zahlen bleiben für das Gros der heimischen Fintechs Zukunftsmusik, so Capital. Das Magazin hatte Ende Februar zwei Dutzend der größten und bekanntesten deutschen Finanz-Start-ups nach ihren Kennzahlen befragt. "Nur eines gab an, profitabel zu arbeiten – nämlich die Mülheimer Firma Fincite, die nach eigenen Angaben 2015 einen Überschuss im sechsstelligen Bereich verbucht hat. Die meisten verweigerten die Auskunft zu Umsatz und Gewinn", so der Artikel.

...und knappe Kassen
Generell nehme die deutsche Branche im Vergleich zu den USA einen Zwergenstatus ein: 2015 investierten Wagniskapitalgeber laut dem Finanzierungsberater Barkow Consulting 376 Millionen Euro Eigenkapital in deutsche Fintechs – "im Schnitt gerade mal rund eine Million je Firma", rechnet die Redaktion aus. Dass so wenig Geld kaum ausreicht, um eine schlagkräftige Unternehmensgröße aufzubauen, liegt auf der Hand – zumal "nicht ein deutsches Finanz-Start-up bislang den Sprung an die Börse geschafft hat."

Tatsächlich wird die Kapitaldecke selbst bei bekannteren Fintech-Firmen dünn. "Eine Stichprobe von Capital ergab, dass laut Bundesanzeiger Smava und Companisto Ende 2014 'bilanziell überschuldet' waren, für Auxmoney und Seedmatch traf diese Diagnose Ende 2013 zu." Noch gelinge es den meisten Fintechs, neue Finanzierungsrunden erfolgreich abzuschließen. Was aber soll werden, wenn den Geldgebern, zu denen auffallend oft der Starinvestor Peter Thiel, der Wagnisfinanzierer Earlybird oder die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck zählen, irgendwann der Geduldsfaden reißt?

Nomen est Omen
Einen Trost gibt es: Privatanleger werden sich, anders als beim Tech-Crash zur Jahrtausendwende, mangels Fintechaktien-Auswahl diesmal die Finger nicht verbrennen – oder doch? Trotz fehlender Erfolgsnachweise versuchen Capital zufolge erste, börsennotierte "Trittbrettfahrer" systematisch, vom Branchen-Hype zu profitieren, bevor er erlischt. So sei Hypoport-Chef Slabke vor Monaten auf die Idee gekommen, seine 1999 gegründete Firma einfach als Fintech zu bewerben. "Geschadet hat es der Aktie nicht", berichtet Capital. Der Onlinebroker Flatex benannte sich 2014 kurzerhand in "Fintech Group" um. Capital: "Die Aktie kennt seitdem kein Halten."

Ähnliches geschah zur Blütezeit des Neuen-Markt-Booms: Namensanhängsel wie "com","bio" oder "tech" genügten vollauf, um Investoren in Rauschzustände zu versetzen – auch wenn das Unternehmen, bis auf die eigene Firmen-Webseite, mit "New Technology" wenig bis nichts zu tun hatte.

Frieden gemacht vor der ersten Schlacht
Gut möglich, dass viele der dynamischen Angreifer entwaffnet werden, bevor sie richtig zuschlagen. Schon jetzt kommt es zu zahlreichen losen Kooperationen oder festen Zusammenschlüssen zwischen neuer und alter Finanzwelt.

"Viele Fintech-Features sind für die Banken leicht kopierbar", begründet Capital dieses Hochzeitsfieber. Inzwischen hätten viele Banken längst eigene Apps entwickelt und verfeinert. Der mangelnde Kopierschutz sei vor allem ein Problem für die Robo-Advisors, also die automatisierten Anlageberater im Internet, von denen es mit Moneymeets, Vaamo oder Easyfolio allein am deutschen Markt bereits mehr als zwei Dutzend gibt.

Die aber bieten ihre Dienste bislang unter Ausschluss der Öffentlichkeit an. "Marktführer Moneymeets bezifferte das verwaltete Vermögen gegenüber Capital auf gut 30 Millionen Euro, Easyfolio auf 15 Millionen Euro, Konkurrent Cashboard machte gar keine Angaben." Insgesamt, so schätzt die Beratung Oliver Wyman, dürften die verwalteten Vermögen aller unabhängigen deutschen Robo-Advisors erst bei rund 100 Millionen Euro liegen. "Angesichts der Verwaltungsgebühren von unter einem Prozent dürfte die Branche bislang also kaum mehr als eine Million Euro umsetzen", kalkuliert Capital.

USA haben bessere Marktbedingungen
Überhaupt sei die Kundengewinnung eine massive Hürde für die jungen Fintech-Angreifer. "Nur wenige kommen bereits auf eine kritische Zahl", berichtet Capital. Da geht es ihren amerikanischen Vorbildern bedeutend besser.

Zu dem Schluss, dass deutsche Fintechs im Vergleich zu ihren US-Pendants weit zurückliegen, sind schon andere Beobachter gekommen. So wies Thorsten Pörschmann, Consultant bei Drescher & Cie., bereits vor rund zwei Monaten daraufhin, dass gerade die US-Erfolge im Bereich Robo-Advice nicht auf Deutschland übertragbar sind. Capital findet noch ein paar Argumente mehr, weshalb es hierzulande klemmt.

Beispiel Auxmoney: Das deutsche Fintech vergebe einfache Verbraucherkredite irgendwo zwischen 3. 000 und 15.000 Euro. "In Amerika ist das ein lukratives Geschäft, weil die USA mit Banken dünn besiedelt sind", so der Artikel. Anbieter wie Lending Club stießen dort in eine Marktlücke – begünstigt zusätzlich dadurch, dass viele Amerikaner auf hohen Kreditkartenverbindlichkeiten sitzen, die sie mithilfe der Plattformen umschulden können.

"Gratis-Generation" als Grundproblem
Für Auxmoney sind die heimischen Rahmenbedingungen andere: "Hohe Kreditkartenschulden sind in Deutschland selten. Bei den normalen Ratenkrediten kämpfen die Düsseldorfer zudem gegen mächtige Konsumentenfinanzierer wie Santander, die Targobank oder die an jeder Ecke präsenten Volks- und Raiffeisenbanken mit ihrem 'Easycredit'."

Zudem bekämen gute Schuldner bei den klassischen Banken problemlos einen günstigen Kredit. Folge: Plattformen wie Auxmoney und andere dürften sich dann mit Interessenten herumschlagen, die von den Banken abgewiesen werden. Auch die Mini-Zinsen verderben Auxmoney das Geschäft, denn solange Kredite selbst bei der Hausbank spottbillig zu haben sind, verspüren die ohnehin wechselmüden Bundesbürger noch weniger Lust, alternative Kreditplattformen auszuprobieren.

Apropos Kunden: Auch die selbst sind ein Problem, denn "gerade die internetaffine Kernzielgruppe der Finanz-Start-ups ist daran gewöhnt, dass Bankprodukte nichts mehr kosten. Wie aber soll man Produkten eine Marge abtrotzen, für die Kunden nichts zahlen wollen?" – eine berechtigte Frage, die sich nicht nur Gründer und Geldgeber vieler Fintechs stellen. (ps)