Die Bewertungen von Wachstum- oder "Growth"-Aktien von Technologiefirmen befinden sich aktuell an einem historischen Tiefpunkt. Die Branche, die noch vor wenigen Monaten als einer der größten Profiteure der Covid-Pandemie erhebliche Wachstumsraten verzeichnete, steht heute mit Bewertungen da, die unter dem Niveau aus vorpandemischer Zeit liegen. Die mehrfache Schrumpfung im aktuellen Umfeld sei historisch gesehen extrem, fast vergleichbar mit der Dotcom-Pleite und der globalen Finanzkrise, stellt Pamela Hegarty, Portfolimanagerin bei BNP Paribas Asset Management, fest – und nennt die Gründe dafür.

"Den größten Gegenwind erhalten die Technologiewerte durch die radikale Straffung der Geldpolitik in den vergangenen Monaten, mit der die Zentralbanken die Inflation eindämmen wollen", schreibt sie in einem Marktkommentar. Noch vor einem Jahr habe die US-Notenbank Fed für das gesamte Jahr 2022 mit einer Anhebung des Leitzinses um 25 Basispunkte auf 0,9 Prozent gerechnet. Eine weit gefehlte Schätzung, denn bereits im September lag der US-Leitzins bei einer Spanne von 3,0 bis 3,25 Prozent. Nächstes Jahr soll er sogar auf 4,6 Prozent steigen – der schnellste Straffungszyklus seit den 1980er Jahren.

Höhere Zinsen sind enorme Belastung für Techfirmen
"Gerade für Marktakteure mit überdurchschnittlichen Wachstumserwartungen ist dies eine enorme Belastung, denn die erwarteten Cashflows dieser Unternehmen liegen oft weit in der Zukunft, werden infolgedessen mit höheren Zinssätzen belegt und verlieren so bei ansonsten gleichen Bedingungen deutlich an Wert – einer der Hauptgründe für die derzeitige Underperformance der Branche", so Hegartys Analyse.

Wie die Zentralbanken beim Kampf gegen die Inflation weiter vorgehen, werde damit für Investoren bei der Entscheidung zwischen Value und Growth zur entscheidenden Frage. Die US-Notenbank verdeutlichte, dass sie die Inflation um jeden Preis eindämmen will, selbst wenn die Wirtschaft darunter leidet. Daher dürften Wachstumswerte aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit bald wieder erheblich besser abschneiden, erwartet die Portfoliomanagerin. "Erste Anzeichen dafür gibt es bereits: So ist etwa die Underperformance bei Growth heute wesentlich weniger ausgeprägt als noch zu Beginn des Jahres. Dies legt nahe, dass sich die Aktienmärkte bereits auf dieses Szenario eingestellt haben", so Hegerty.

Niedrige Kurse – gute Einstiegskonditionen
Zudem böten die derzeit günstigen Bewertungen Anlegern attraktive Konditionen für einen Einstieg in wachstumsorientierte Investments. Eine umfassende Marktbereinigung sei nicht zu erwarten, denn es gebe einen entscheidenden Unterschied zu vorherigen Krisen wie der Dotcom-Blase: Hegerty zufolge ist die Tech-Branche heute wesentlich besser für eine Rezession gewappnet als noch vor wenigen Jahren. Viele der Unternehmen seien zu Abo-Modellen übergegangen, die wiederkehrende Einnahmequellen böten und damit auch eine größere wirtschaftliche Resilienz schafften. (jb)