Der seit Monaten steigende Ölpreis sorgt bei Anlegern langsam aber sicher für Sorgenfalten. Nicht ganz zu Unrecht: "Ein höherer Ölpreis kann unterschiedliche Auswirkungen auf die Märkte haben, sowohl direkt als auch indirekt", erklärt Invescos Chief Global Market Strategist Kristina Hooper.

Die Beziehung zwischen Ölpreis und globalen Aktienkursen hat in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark variiert. In manchen Phasen war die Korrelation positiv, in anderen negativ – und in den letzten drei Jahrzehnten war laut Hooper praktisch keine Korrelation festzustellen. Daraus schließt Hooper, dass es keine sehr ausgeprägte, allgemeingültige Beziehung gibt. Das wiederum bedeutet: Investoren sollten nicht davon ausgehen, dass ein höherer Ölpreis notwendigerweise schlecht für die Aktienmärkte ist.

Die Entwicklung im Jahr 2010 verdeutlicht das sehr gut. Damals verteuerte sich Öl um rund 15 Prozent — von etwa 78 US-Dollar je Barrel für Rohöl der Sorte West Texas Intermediate im Januar 2010 bis auf 89 US-Dollar im Dezember 2010. Gleichzeitig legte der MSCI All Country World Index um 12,7 Prozent zu. "Zu erklären ist das dadurch, dass die Aktienkurse durch viele unterschiedliche Faktoren bestimmt werden — darunter die Geldpolitik, die sehr großen Einfluss haben kann", sagt Hooper.

Höherer Ölpreis, höhere Zinsen?
Dagegen zeige der Ölpreis eine deutlichere Beziehung zu einzelnen Marktsegmenten und Branchen — vor allem zum Energie- und Transportsektor. Außerdem werden Aktien aus ölimportierenden Ländern tendenziell stärker durch einen höheren Ölpreis belastet, während Aktien aus ölexportierenden Nationen von höheren Ölnotierungen eher profitieren. "Gleichzeitig dürfte ein sehr hoher Ölpreis eine erhebliche Belastung für Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen darstellen und damit auch Folgen für Teile des zyklischen Konsumsektors haben", führt Hooper aus.

Deutlich größer aber könnten die indirekten Auswirkungen auf die Aktienmärkte — und die Wirtschaft insgesamt — sein. Diese dürften zudem unterschiedlicher Natur sein. Zum einen könnte sich Hoopers Ansicht nach die US-amerikanische Notenbank (Fed) infolge eines höheren Ölpreises gezwungen sehen, die Zinsen schneller zu straffen. Bei ihren Entscheidungen über das Tempo ihrer geldpolitischen Straffung orientiert sich die Fed bekanntermaßen an der Kerninflation — die keine Lebensmittel- und Energiepreise berücksichtigt — und nicht an der Gesamtinflationsrate. Daher nehmen viele an, dass ein höherer Ölpreis keine Auswirkungen auf die für die Fed maßgebliche Inflationskennzahl hätte.

Alles halb so wild
Tatsächlich aber kann sich ein höherer Ölpreis auch in der Kerninflation niederschlagen. Das hat die US-aNotenbank selbst bestätigt: "Schwankungen des Ölpreises haben begrenzte, aber langanhaltende Auswirkungen auf die Kerninflation“, hieß es 2017 in einer Fed-Erklärung. Daher könnte der höhere Ölpreis über eine höhere Kerninflation — die durch andere inflationäre Kräfte wie das Lohnwachstum und Zölle auf Güter wie Aluminium und Stahl zusätzlich befeuert wird — die Fed dazu veranlassen, auf aggressivere Zinserhöhungen zu setzen. Das würde die Wirtschaft belasten und damit die Aktienkurse unter Druck setzen.

"Auf kurze Sicht wäre ich nicht überrascht, wenn ein steigender Ölpreis zu einer erneuten Kurskorrektur an den Aktienmärkten führt. Allerdings glaube ich auch, dass eine höhere Ölförderung in den USA das fehlende Angebot aus dem Iran und Venezuela teilweise kompensieren wird — wenn auch mit Verzögerung. Außerdem halte ich die fundamentale Verfassung der Aktienmärkte weiter für sehr solide“, prognostiziert Hooper.(aa)