"2016 war ein Crashkurs in Behavioral Finance", sagte Martin Lück, Blackrocks Chief Investment Strategist für Deutschland, Österreich & Osteuropa, vor professionellen Marktteilnehmern in Wien anlässlich eines im Rahmen der "Blackrock-Winterkonferenz" gehaltenen Marktausblicks. Lück erinnerte die anwesenden Investoren an den schwachen Jahresauftakt, der zwischenzeitlich manche Aktienindizes mehr als 20 Prozent ins Minus drückte. Mittlerweile hat sich – auch aufgrund der Wahl Donald Trumps, die laut Lück für "eine neue ökonomische Realität sorgt" – das Blatt gewendet. Die großen Aktienindizes der Industrieländer wie Dow Jones oder Dax haben ihre Verluste ausgebügelt und notieren zumindest aus derzeitiger Sicht kräftig bis leicht im Plus. "Wir werden gestärkt aus diesem Anlagejahr gehen", so Lück.

Hohes Wachstum nur in fernen Landen
Investoren auf der Suche nach Wirtschaftswachstum und dem damit vielfach einhergehenden Kurssteigerungspotenzial bei Aktien müssen im Vergleich zur Vergangenheit wesentlich höhere Engagements in Schwellenländermärkten eingehen. In den Industrieländern ist das Potenzialwachstum seit Jahren auf dem Rückzug. Der Chefstratege veranschaulichte dies anhand einer interessanten Grafik, die die Verschiebung zwischen Industrie- und Schwellenländern bei den Beiträgen zum globalen Wachstum seit Beginn der 1960er-Jahre zeigt (siehe Fotostrecke).

Mit Blick auf die Wahl Trumps sowie die im Wahlkampf angedrohte Rückabwicklung oder zumindest Verlangsamung der Globalisierung, warnte Lück, dass entsprechende Schritte der Trump-Administration eine ernsthafte Gefahr für Schwellenländerinvestoren darstellen. Immerhin hätten von der Globalisierung insbesondere die Emerging Markets überproportional stark profitiert. "Das Risikobild der Welt ändert sich", betonte Lück.

Renteninvestoren vor der größten Herausforderung seit Jahrzehnten
Eine Änderung könnte auch bei der Geldpolitik anstehen. Nicht nur in den USA, wo die ersten Zinsschritte auf Schiene gebracht wurden, sondern auch in Euroland. Laut Lück zeigten sich immer stärker die negativen Nebenwirkungen einer extrem expansiven Geldpolitik, die das Zinsniveau zumindest temporär unter die Nulllinie gedrückt hat. Durch negative Zinsen würden einerseits Sparer bei der Altersvorsorge geschädigt und zu noch höheren Sparquoten gedrängt. Auf der anderen Seite würden niedrigste Zinsen aufgrund des Diskontierungseffekts Unternehmen bilanziell massiv unter Druck bringen, da allfällige Pensionsrückstellungen und andere langfristige Verbindlichkeiten nunmehr höher auf der Passivseite zu gewichten seien. Auch Banken leiden unter negativen Einlagezinsen, diese schädigten die Fähigkeit zur Kreditschöpfung. Unterm Strich führe all dies zu weniger Konsum und Investitionen. Daher könnte es laut Lück zu "einem Stabswechsel" von der Geld- zur Fiskalpolitik kommen, um stärkeres Wirtschaftswachstum zu generieren.

Genau dieser Schritt führe aber unweigerlich zu höheren Zinsen: Einerseits über eine Beendigung der diversen QE-Programme, da die Zentralbanken als Anleihekäufer ausfielen. Andererseits über wesentlich höhere Anleihebegebungen seitens staatlicher Emittenten, die mehr Geld für Infrastrukturmaßnahmen oder sonstige Ausgaben auf Kredit benötigen.

Diese Entwicklung wäre für Renteninvestoren ein massiver Paradigmenwechsel. Laut Lücke "stehen Investoren am Rentenmarkt vor der größten Herausforderung seit Jahrzehnten". Die traditionelle Risikogewichtung zwischen riskanten Aktien und Anleihen als "sicherer" Baustein eines jeden Portefolios würde nicht mehr gelten. "Plötzlich ist der sichere Teil des Portfolios unsicher", warnte Lück.

Werden Aktien "alternativlos"?
Investoren müssten daher zur Erkenntnis gelangen, dass abhängig von der zeitlichen Länge des individuellen Anlagehorizonts Aktien trotz damit einhergehender höherer Volatilitäten zukünftig einen größeren Stellenwert in den Portefeuilles haben sollten. Insbesondere Schwellenländeraktien traut Blackrock auf Sicht der kommenden fünf Jahren eine annualisierte Rendite von fast sieben Prozent zu. Zum Vergleich: Investoren in Staats- und Unternehmensanleihen westlicher Länder, aber auch in Cash, drohen spürbare Verluste.

Lück riet daher zu einer breiten Portfoliodiversifikation. Neben Aktien und Anleihen gehören in jedes Portfolio auch Investitionen in Schwellenländer, dazu seien selektiv auch Rohstoffe (beispielsweise Gold) und alternative Investments sinnvoll.

Gegen Ende seines rund 30-minütigen Vortrags ging Lück noch auf die Auswirkungen des überraschenden US-Wahlgangs ein. Er betonte, dass die Marktteilnehmer den Sieg Trumps unmittelbar danach äußerst rational und überlegt in den Kursen verarbeitet hätten. Derzeit steigen die Inflations- und Wachstumserwartungen. Das sei für die Märkte kurzfristig positiv, die Langfristeffekte könnten jedoch negativ sein (mehr Details dazu finden Sie in unserer Fotostrecke oben).

Frankreichwahl könnte für Spannung sorgen
Abschließend gab Lück noch einen Ausblick auf mögliche "Krisenherde" im Jahr 2017. Vor allem in der Eurozone stehen in wichtigen Ländern richtungsweisende Wahlen an. Beispielsweise im März 2017 in den Niederlanden, die einen EU-kritischen Volksvertreter (Geert Wilders) an die Macht bringen könnte, der die niederländischen Bürger über den weiteren Verbleib des Küstenstaats in der EU befragen möchte.

Volatil könnte es an den Märkten insbesondere zwischen den zwei Wahlgängen um das Amt des französischen Präsidenten am 23. April und 7. Mai 2017 werden. Lück glaubt und hofft, dass die Oppositionspolitikerin Marine Le Pen nur im ersten Wahlgang vorne liegt, jedoch den zweiten Wahlgang verliert. Immerhin würden die Franzosen traditionell im ersten Wahlgang oftmals als "Protestwähler" agieren und sich in der Folgerunde "staatsmännischer" zeigen und besonnener votieren. Bei der Bundestagswahl im September 2017 in Deutschland erwartet Lück, dass zukünftig mehr Parteien im Parlament als bisher vertreten sein werden, was Regierungsbildungen erschwere.

Investoren zeigen sich hartgesotten
Last but not least betonte Lück, dass Aktieninvestoren mittlerweile offenbar ein äußerst dickes Fell bekommen hätten. Trotz aller schlechten Nachrichten Mitte des Jahres 2016 wie zum Beispiel im Umfeld des Brexit-Votums war der vergangene Sommer aus Volatilitätssicht der "ruhigste" seit vielen Jahren. Laut Lück "reagierten die Märkte seit Sommer 2016 auf Krisen fast schon tiefenentspannt", was ein Indiz dafür sei, dass 2017 ein gutes Jahr für Aktionäre werden würde. Daher sollten Investoren auch in zukünftigen Krisenzeiten gelassen bleiben und vor allem weiterhin in Aktien investiert sein. Das ist übrigens auch eine wichtige Botschaft der eingangs erwähnten "Behavioral Finance". (aa)