Am 15. Oktober läuft die Frist ab, die der britische Premier Boris Johnson der Europäischen Union für die Einigung auf einen Brexit-Deal gesetzt hat. "Während die Gemüter der Verhandlungsparteien trotz der offensichtlichen Möglichkeit einer Fristverlängerung erhitzt sind, bleiben die Märkte relativ gelassen", konstatiert Robert Greil, Chefstratege der Privatbank Merck Finck. Er bezieht sich mit seiner Einschätzung darauf, dass ein großer Teil des Brexit-Prozesses offenbar bereits eingepreist ist. "Selbst ein mageres Minimalabkommen wäre für den Finanzmarkt wahrscheinlich kaum noch ein größerer Aufreger", sagt er.

Investoren und Unternehmen hatten seit dem "Leave"-Votum im Jahr 2016 viel Zeit, sich an Großbritanniens EU-Austritt und die Querelen rund um ein Handelsabkommen zu gewöhnen. Falls nötig, haben sie Strategien entwickelt, um damit umzugehen. Das unterscheidet den Brexit von anderen politischen Risiken, erklärt Greil. "Er ist ein Prozess, kein einmaliges überraschendes Ereignis."

Wenn nicht jetzt, wann dann?
Im Fall eines Minimalabkommens würde die britische Wirtschaft im kommenden Jahr immerhin um rund fünf Prozent wachsen, schätzt der Merck-Finck-Stratege. "Dabei handelt es sich jedoch primär um einen technischen Effekt aufgrund der vor allem coronabedingt tiefen Rezession im laufenden Jahr", sagt er. Gehen die Verhandlungsparteien ohne Abkommen auseinander, dürfte die Erholung dagegen weitestgehend ausfallen. Die Bank of England müsste dann mit weiteren Leitzinssenkungen und Anleihekäufen gegensteuern.

In einer Hinsicht hat es Vorteile, dass der Brexit ausgerechnet in die Zeit der Covid-19-Pandemie fällt, sagt Greil: "Zentralbanken und Regierungen haben schon massiv Geld in die Wirtschaft gepumpt – und haben den Finger weiterhin am Abzug. Wenn es überhaupt eine günstige Zeit für den Brexit gibt, dann jetzt." (fp)