Europas Banken erfuhren erheblichen Rückenwind aufgrund des gewandelten Zinsumfelds. "Die höheren Leitsätze haben das Zinsergebnis angetrieben", sagte Alexander Hendricks, Bankenexperte bei der Ratinggesellschaft Moody's, im Gespräch mit FONDS professionell. "Grundsätzlich ist die Profitabilität der europäischen Banken derzeit hoch, verglichen mit den Jahren 2020 bis 2022." Insbesondere im Vergleich zu US-Instituten hatten die europäischen Geldhäuser erheblich länger mit den Nachwehen der Finanzkrise im Zuge der Lehman-Pleite gerungen.

Doch zuletzt offenbarten sich in den USA mit dem Beben bei Regionalbanken die Schattenseiten der Zinswende. So kollabierte die Silicon Valley Bank (SVB), weil sie ein großes Portfolio an Staatsanleihen führte, bei dem mit den steigenden Renditen die Bewertung fiel. Zudem saß das Institut auf vielen Kundeneinlagen, gab aber relativ wenige Kredite aus. Dies schürte die Sorge, dass auch andere Institute mit ähnlichen Problemen ringen könnten und es wie bei der SVB zu einem Bank Run kommen könnte.

"Unter einer strengeren Aufsicht"
Für hiesige Geldhäuser signalisiert der Moody's-Analyst jedoch Entwarnung. "Das Wachstum der Einlagen in Europa war nicht so hoch", erläutert Hendricks. "Daher ist auch der Anlagedruck europäischer Institute nicht so groß." Daneben würden Banken in Europa tendenziell in kürzere Laufzeiten investieren, was den Bewertungseffekt abschwäche. "In Europa stehen auch kleinere Banken unter einer strengeren Aufsicht", ergänzt der Bankenkenner. "Zudem sind sie besser kapitalisiert als US-Regionalbanken."

Gleichwohl ist auch die Lage in Europa nicht gänzlich frei von Schatten. So sei teilweise der Anstieg der Zinseinnahmen durch ein schwächeres Ergebnis aus dem Wertpapiergeschäft mit niedrigeren Provisionserträgen gedämpft worden, berichtet Hendricks. "Hie und da erhöhen die Banken die Risikovorsorge", ergänzt der Analyst. "Diese war aufgrund der niedrigen Zinsen auch außergewöhnlich gering."

"In der zweiten Reihe wird es schwieriger"
Ein weiterer potenzieller Krisenherd sind die Immobilienmärkte. Mit den steigenden Zinsen fallen hier die Preise. Eine höhere Zinslast könnte auch die Hypothekennehmer in Bedrängnis bringen. Doch auch hier gibt Hendricks Entwarnung. "Banken haben in den vergangenen Jahren nicht fahrlässig Immobilienkredite vergeben", so der Experte. Sie hätten defensiv agiert, und die Darlehen sind mit einem hohen Eigenkapitalanteil der Immobilienkäufer belegt. "Es kann aber schon den einen oder anderen Fall geben, in dem eine Bank vor der Verwertungsfrage steht", betont Hendricks. "Vor allem im Bürosektor in Lagen der zweiten Reihe wird es schwieriger."


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Nach der guten Phase für Europas Geldhäuser schwächt sich der Rückenwind jedoch ab. "Die Zinsmarge dürfte langsam wieder etwas sinken", sagt der Analyst. "Denn die Konkurrenz um Einlagen nimmt zu." Im Zuge dessen würden Einlagen besser honoriert. Bei Unternehmens- und Privatkrediten waren die Zinsen schnell gestiegen. "Die Vergütung von Einlagen hatte mit dem Tempo nicht mitgehalten", erläutert Hendricks. "Dies wird sich angleichen." Im Zuge dessen werde die Zinsmarge der Banken etwas zurückgehen.

"Negativer Effekt auf die Kreditqualität"
Selbst wenn die Leitsätze hoch bleiben sollten, stellt das nicht unbedingt eine gute Nachricht für die Geldhäuser dar. "Die Inflation ist die große Unbekannte", sagt der Moody's-Analyst. "Wir gehen davon aus, dass sie weiter sinkt. Dennoch sind Überraschungen möglich." Wenn die Zinsen in der Folge weiter hoch bleiben, habe dies einen negativen Effekt auf die Kreditqualität der Unternehmen, "was wiederum zu Insolvenzen und höheren Kosten für Banken führt", so Hendricks.

Der Experte resümiert: "Die Aussichten für Europas Banken wechseln von heiter auf wolkig." Erste Effekte des extremen Zinsanstiegs würden sich offenbaren. Es stelle sich durchaus die Frage, wie gut Unternehmen mit dieser erhöhten Zinslast arbeiten können. "Ein schwächeres Wirtschaftswachstum ist sicherlich kein förderliches Umfeld für Banken", meint Hendricks. "Allerdings drohen auch keine extremen Zerwürfnisse", betont der Analyst. (ert)