Erinnern Sie sich? 1986 gewann Tennis-Jungstar Boris Becker sein zweites Wimbledon-Finale. Deutschland war durch eine Grenze geteilt. Der Liter Super-Kraftstoff kostete umgerechnet 56 Euro-Cents, und wer von unterwegs telefonieren wollte, musste eine der landesweit rund 148.000 Zellen der Deutschen Bundespost aufsuchen – Handys gab's so gut wie keine.

Seitdem ist viel geschehen. Wer weiß, was bis 2046 noch so alles passiert? Anleiheinvestoren scheint das dieser Tage nicht zu beschäftigen. Anders ist kaum zu erklären, weshalb sich die Bundesrepublik selbst langfristig Geld beinahe zum Nulltarif leihen kann.

Anleger begnügten sich am Mittwoch bei der Aufstockung einer 30-jährigen Bundesanleihe mit einer Mini-Rendite von 0,45 Prozent. Billiger hat Deutschland noch nie auf derart lange Frist Schulden aufgenommen. Zum Vergleich: Vor gut einem Monat musste Finanzminister Wolfgang Schäuble bei einer Auktion für einen 30-Jahres-Bond noch 0,62 Prozent ausloben. Obendrein war die neue Emission im Volumen von einer Milliarde Euro trotz des noch knauserigen Zinssatzes deutlich überzeichnet: Investoren hatten Gebote über 1,212 Milliarden Euro abgegeben.

Europaweiter Anlagenotstand
"Weniger als ein halbes Prozent Rendite ist selbst bei der aktuellen Mini-Inflation von 0,3 Prozent kein gutes Geschäft", zitiert das "Handelsblatt" einen Bondhändler. Doch die Verzweiflung aufseiten institutioneller Anleger ist groß angesichts der Tatsache, dass viele ihrer früheren "Lieblingsinvestments" inzwischen noch weniger abwerfen. Deutsche Staatspapiere mit bis zu zehn Jahren Laufzeit rentieren im Minusbereich. Europaweit liegt mittlerweile bei Anleihen im Gesamtwert von rund drei Billionen Euro die Rendite unter der Nulllinie.

Gerade Versicherer suchen händeringend nach Anleihen mit langen Laufzeiten, um ihren Auszahlungsverpflichtungen nachkommen zu können – mögen die Kupons auch noch so karg sein. Der Anlagenotstand ist derzeit eines der wenigen verbindenden Elemente in Europa.

Völlig problemlos konnten beispielsweise die britischen Schuldenmanager am Dienstag eine inflationsgeschützte Anleihe mit Laufzeit bis 2065 an den Markt bringen und so 2,5 Milliarden Pfund (rund 2,8 Milliarden Euro) aufnehmen. Beobachtern zufolge sind Angebote in Höhe von zehn Milliarden Pfund eingegangen. Auch hier kann die in Aussicht gestellte Rendite des 50-jährigen Papiers kaum ausschlaggebend gewesen sein. Denn die liegt bei 1,23 Prozent – mit einem Minuszeichen davor, wohlgemerkt. Die Schweizer Pfandbriefbank, die weltweit zu den Top-Schuldnern zählt, begab vergangene Woche einen Titel mit 26 Jahren Laufzeit. Die Rendite lag bei 0,2 Prozent.

"Investoren suchen aufgrund der politischen Unsicherheit einerseits weiter nach sicheren Häfen, gleichzeitig aber aufgrund der niedrigen Renditen dieser Titel nach Vermögenswerten, die noch einen auskömmlichen Ertrag versprechen", erklärt Felix Herrmann, Kapitalmarktstratege für Deutschland, Österreich und die Schweiz beim Fondshaus Blackrock, gegenüber dem "Handelsblatt". Wirklich sicher sind die "Langläufer" aber nur für Investoren, die auch bis zur Endfälligkeit dabei bleiben.

Gefühlte Sicherheit...
So sind denn weniger die Mini-Zinsen, als die Wette auf steigende Anleihekurse Hauptmotiv für die Institutionellen, trotzdem zuzuschlagen. Die Europäische Zentralbank (EZB) als neue Nachfragerin auf dem europäischen Bondmarkt könnte die Kurse, wie in den vergangenen Wochen, weiter ankurbeln. Monat für Monat saugt sie Papiere im Wert von 80 Milliarden Euro auf. Da inzwischen Bundesanleihen mit einer Laufzeit von bis zu sieben Jahren unter dem negativen Einlagensatz der Notenbank von minus 0,4 Prozent rentieren, darf die EZB diese Papiere laut Statut nicht mehr kaufen – und sucht vermehrt bei Langläufern nach aussichtsreichen Anleihen.

Private Anleger tun es ihr gleich. "Am Schweizer Kapitalmarkt ist seit einiger Zeit der Trend zu langen bis ultralangen Laufzeiten zu beobachten", berichtet die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Das führt zu einer neuen Skurrilität: Galten Obligationen mit zehn Jahren Laufzeit früher noch als Langläufer, zählen diese heute zu den Papieren mittlerer Laufzeit.

...gefährliche Annahmen
Doch die Kurswette der institutionellen Bondinvestoren und insbesondere ihre Sucht nach Langläufern könnte leicht nach hinten losgehen. Dann nämlich, wenn die niedrigen Inflationsraten in Europa wieder anziehen. Abgesehen vom realen Renditeschwund steigen mit der Inflation gewöhnlich die Kapitalmarktzinsen, wenn auch zeitverzögert. Bei bestehenden Anleihen führt das zu Kursverlusten, da sie im Vergleich zu neu emittierten Papieren mit höheren Zinsen weniger attraktiv werden. Das trifft langlaufende Papiere besonders heftig: Sie reagieren empfindlicher auf Zinsänderungen, weil Anleger ihr Kapital länger binden.

Genau das ist die Crux: Die Inflationserwartungen vieler professioneller Investoren erscheinen einigen Beobachtern seit längerem gefährlich niedrig. Von der EZB befragte Analysten senkten ihre Prognosen jüngst sogar weiter auf 1,2 Prozent für 2017 und auf 1,5 Prozent für 2018. Experten wie Franceso Garzarelli, der bei Goldman Sachs das Märkte- und Makro-Research leitet, halten die globalen Bondmärkte deshalb für hoffnungslos überhitzt. (ps)