Von 2004 bis 2019 war der Würzburger Wirtschaftsprofessor Peter ­Bofinger Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Immer wieder vertrat der nachfrageorientierte Ökonom dabei Minderheitsansichten – etwa bei der Einführung von "Hartz IV" oder der Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz 2009. Und oft scheint die Entwicklung seine Bedenken im Nachhinein bestätigt zu haben. 

Deutsches Geschäftsmodell unter Druck
Heute bereitet Bofinger die deutsche Wachstumsschwäche Sorgen: Seit 2019 sei die deutsche Wirtschaft im Gegensatz zu allen anderen EU-Mitgliedsstaaten unterm Strich nicht gewachsen, so der Wirtschaftsexperte. Er sagt: "Wir müssen uns ernsthaft fragen, warum das so ist." Gegenseitige Schuldzuweisungen und Klagen über Bürokratie, Regulierung und die Steuer­belastung führen seiner Meinung nach kaum weiter. Denn die wahren Ursachen der Wachstumsschwäche liegen für Bofinger tiefer. Sie betreffen den Kern des deutschen Geschäftsmodells, das rund um die Automobilindustrie, den Maschinenbau und die Chemiebranche aufgebaut ist. "Damit sind wir in den Jahrzehnten der Globalisierung sehr gut gefahren", so Bofinger. Nun habe die Globalisierung aber ihren Höhepunkt überschritten und auch Energie werde teurer: "Unser Geschäftsmodell gerät an allen Ecken unter Druck, und wir sind in Innovation und digitalen Industrien relativ schwach", warnt der Wissenschaftler: "Uns fehlt ein neuer Wachstumsmotor." 

Er sieht den Ausweg in der Flucht nach vorne: Die Regierung müsse aktiv die Weichen stellen für mehr Wachstum und müsse entschlossen in die Zukunft investieren. Dazu müsse die Politik auch klar aufzeigen, wo man in zehn Jahren stehen will und wie der Weg dorthin aussehen soll. Zukunftsweisende Wirtschaftsbereiche und Branchen müssten entsprechend gefördert werden. Der Staat sollte wie ein Wagniskapitalgeber handeln und investieren, fordert Bofinger.

Politik sollte Wandel aktiv gestalten
In dem Zusammenhang begrüßt er auch die Milliardensubventionen für die Ansiedlung ausländischer Technologiekonzerne: "Ein Land, das beim Subventionswettlauf nicht mitmacht, hat von vorn­herein verloren", so Bofinger. Wenn Technologie überall auf der Welt von Staaten gefördert wird, könne man nicht still dasitzen und zuschauen. Der Weg zu einer modernen und digitalen Wirtschaft gelingt nicht von allein. Doch gerade an einem klaren Plan für die Zukunft fehle es: "Was ich, ehrlich gesagt, völlig vermisse, ist eine strategische Vision für Deutschland", so Bofinger. (jh)


Ausgewählte Aussagen aus dem Gespräch mit Peter Bofinger finden Sie in der Bilderstrecke oben – einfach durchklicken! Das vollständige Interview lesen Sie in FONDS professionell 1/2024 ab Seite 154 oder nach Anmeldung hier im E-Magazin.