Das Garantieniveau für Neuverträge in der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) muss angesichts der Niedrigzinsphase auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Folglich gehört die Zukunft beitragsorientierten Zusagen und reinen Beitragszusagen. Letztere sollen insbesondere beim Sozialpartnermodell (kurz: SPM) zum Zuge kommen. Bislang gibt es jedoch in der Praxis erst ein einziges SPM, obwohl das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) schon seit 2018 in Kraft ist.

Talanx und Verdi haben ihre Verhandlungen abgeschlossen, so dass ab 1. Juli 2021 Talanx-Beschäftigte Vorsorgeverträge zur reinen Beitragszusage zeichnen können. "Unsere Erwartung ist es, dass die Politik auch die Öffnung für Unternehmen ohne Zugang zu dieser tarifvertraglichen Lösung konsequent vorantreibt", hofft Lars Golatka, verantwortlich für "Die Deutsche Betriebsrente", die gemeinsame Marke von Zurich und Talanx in der bAV und Produktgeber des SPM bei Talanx. Diese Hoffnung ist berechtigt und trügerisch zugleich. Berechtigt, weil die reine Beitragszusage ohne jegliche Garantie auskommt und damit höhere Zielrenten verspricht als Garantiezusagen im Niedrigzinsumfeld. Und trügerisch, weil die Politik in Zukunft scheinbar noch stärker auf die gesetzliche Rente setzt als auf die bAV.

Beitragszusage mit Mindestleistung vor dem Aus
Mit der reinen Beitragszusage ließe sich das dringendste Problem der deutschen bAV elegant lösen: Das Bundesfinanzministerium hat im Mai per Verordnung zwar geregelt, dass der Höchstrechnungszins für Neuverträge in der Lebensversicherung ab 2022 von 0,9 auf 0,25 Prozent sinkt und Anbieter schon jetzt weniger als 100 Prozent Garantie geben dürfen, aber vergessen, für die weit verbreitete Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) und auch für private und betriebliche Riester-Renten weniger als 100 Prozent Garantie zu erlauben.

Das führt zu dem ungewollten Effekt, dass immer mehr Arbeitnehmer Laufzeiten von über 100 Jahren erreichen müssten, um die Mindestleistung zu bekommen. BZML-Anbieter sind in der Vorgabe des Betriebsrentengesetzes gefangen, wonach sie "mindestens die Summe der zugesagten Beiträge garantieren müssen", heißt es im Gesetz (Paragraf 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG).

Daher wurde kürzlich auf der Jahrestagung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) vehement gefordert, von der gesetzlich vorgeschriebenen Garantie abzurücken. "Andernfalls gibt es morgen am Markt vermutlich keine BZML und Riester-Rente mehr", prophezeite DAV-Vorstand Guido Bader. Der vollständige Beitragserhalt führe zu einem Realwertverlust. Damit sei die Generationengerechtigkeit in der bAV gefährdet, pflichtet sein Vorstandskollege Friedemann Lucius bei. Die Politik sollte daher ein flexibleres Garantiespektrum erlauben.

70 Prozent Garantie statt 100 Prozent sinnvoll
Professor Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften, hält im aktuellen Zinsumfeld eine Mindestgarantie von 70 bis 80 Prozent für angemessen. Darauf müsse der Gesetzgeber spätestens zum Jahreswechsel reagieren. "Man nimmt sonst als Nebenwirkung einer bloßen Verordnung in Kauf, BZML und Riester-Rente schwer zu beschädigen", so der Wissenschaftler.

Das zuständige Bundesfinanzministerium sieht bislang keinen Handlungsbedarf. Bleibt es beim Status Quo, erzwingt die Politik eine Schließung des Neugeschäfts in der BZML, die in vielen Tarifverträgen und Gruppenverträgen fest verankert ist. "Das hätte gravierende Nachteile gerade für junge Arbeitnehmer", warnt Bader. "Denn Arbeitgeber müssten die Versorgungswerke wegen unhaltbarer Garantien schließen und neue Versorgungswerke für andere Zusageformen aufbauen, was zusätzliche Kosten verursacht und damit zu Lasten der Versorgungsberechtigten geht", so seine Kritik.

Mehr Leistung mit weniger Garantie
Diese Kritik nahm auch auf der kurz danach abgehaltenen Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für bAV (Aba) breiten Raum ein. "Es droht eine Abkehr von der BZML, da das Subsidiärhaftungsrisiko für Arbeitgeber bei Beibehaltung der 100-Prozent-Garantie steigt, weil die Anbieter die Garantie nicht mehr erwirtschaften können", warnt Aba-Vorstandschef Georg Thurnes. "Die Politik scheint unseren Forderungen nicht zeitnah zu entsprechen", räumt er ein. Dabei sei die Absenkung von Mindestgarantien keine Leistungssenkung, sondern die einzige Chance für mehr Rendite, so der Aktuar.

Die Rentenpolitiker scheinen aber in der nächsten Legislaturperiode ohnehin wieder auf die gesetzliche Rente konzentriert zu sein. "Das greift zu kurz", warnt Thurnes. Auch die beabsichtigte Bevorzugung von Tarifvertragsmodellen in der bAV sei problematisch, weil auf Betriebsebene viel mehr Flexibilität möglich ist als in einer ganzen Branche. Auf der Aba-Tagung wurde erneut deutlich: Vorsorgeberater dürften es nach der Wahl schwer haben. Die dritte Säule spielt in den Überlegungen der Parteien kaum eine Rolle. Die Aba fragte nicht von ungefähr auf ihrer Tagung nach den Perspektiven der Altersvorsorge Muss mehr Geld ins System? Was wird aus der bAV?

Union und FDP für mehr Kapitaldeckung
Die Antworten (lediglich die AfD wurde nicht gefragt) sind wenig schlüssig und noch weniger ermunternd für den Finanzvertrieb. Allenfalls Union und FDP halten noch zur Kapitaldeckung und damit auch zur Vermittlerschaft. "Die Geringverdienerförderung sollte obligatorisch und dynamisch ausgestaltet werden“, so der rentenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Riester-Rente müsse grundlegend als Zulagenrente für jedermann reformiert werden, der Niedrigzins zwinge zum Abbau von Garantien.

Mehr Geld sollte ins System, aber nicht durch mehr Einzahler für die Umlage, sondern durch die Einführung von Kapitaldeckung auch in der ersten Säule ("gesetzliche Aktienrente“), fordert Johannes Vogel, Sprecher für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der FDP-Bundestagsfraktion. Weniger Regulierung sei auch in der zweiten und dritten Säule wünschenswert, allerdings scheint die FDP da auf das schwedische Modell mit staatlichen Aktienfonds auch in der bAV zu setzen. Fonds in der bAV sollen als reine Beitragszusage konzipiert sein.

Grün-Rot-Rot trotz Demografie für stärkere Umlage
Von der Konstellation Grün-Rot-Rot haben die Vermittler dagegen nichts Gutes zu erwarten. Mehr Geld gehört in die gesetzliche Rente, fordert Markus Kurth, Sprecher für Rentenpolitik bei Bündnis90/Die Grünen. "Ein Abknapsen von Teilen des Rentenbeitrags und Umleitung in den Kapitalmarkt wie in Schweden ist nicht akzeptabel." Die bAV könne eine sinnvolle Ergänzung für die Lebensstandardsicherung sein, vor allem bei Finanzierung durch die Arbeitgeber.

Auch für die SPD steht die gesetzliche Rente im Vordergrund, die durch mehr Bundeszuschuss und etwas mehr Beitrag gestärkt werden soll. "Alle Erwerbstätigen sollen einzahlen, auch Beamte, Unternehmer, Parlamentarier", betont Ralf Kapschack, Mitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Eine bAV mit Tarifvertrag sei die beste Ergänzung. Staatliche Aktienfonds statt GRV-Zuschuss würden die gesetzliche Rente destabilisieren.

Die gesetzliche Rentenversicherung braucht dringend mehr Geld, pflichtet Matthias Birkwald bei, Sprecher für Rentenpolitik der Linken. Zur Lebensstandardsicherung sei es unumgänglich, das Rentenniveau auf 53 Prozent anzuheben. Zudem ist eine moderate Beitragssteigerung um 2,0 Prozentpunkte und 2,3 Milliarden Euro mehr Steuerzuschuss nötig. Die Riester-Rente habe versagt, das Geld sollte "aus Riester raus und rein in GRV". Die bAV wäre bei Rückkehr zur paritätischen Finanzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sinnvoll. (dpo)