Viele Investoren bekamen zum Jahreswechsel 2021/2022 kalte Füße und trennten sich eilig von ihren hoch bewerteten Wachstumstiteln, insbesondere von US-Technologieaktien. Deutlich zu sehen ist das am MSCI Growth-Index, der seit Jahresbeginn seinem Value-Pendant mit hohem Abstand hinterherhinkt. Dabei dürften jedoch etliche Growth-Titel angesichts steigender Notenbankzinsen und des damit befürchteten Konjunkturdämpfers zu Unrecht in den Sog geraten sein. Das sagt Raj Shant, Portfoliospezialist bei Jennison Associates, dem aktiven Aktienmanager des US-Vermögensverwaltungsriesen PGIM.

Historisch betrachtet gebe es gerade jetzt, zu Beginn des Zinserhöhungszyklus, gute Gründe, sich mit Growth-Aktien auseinanderzusetzen, wie Shant im Gespräch mit der Redaktion erklärt. Denn das Muster sei seit Jahrzehnten dasselbe: Die Zinssorgen lösen hohe Abschläge bei Wachstumsaktien aus, denen aber ein Rebound speziell bei Unternehmen folgt, die ein sichtbares Geschäftsmodell vorweisen können.

Die vier türkisfarbenen vertikalen Striche in dieser Grafik markieren die Startpunkte von Zinsanhebungszyklen. Zu Beginn performt meist Growth schwächer als Value, doch danach wandelt sich das Bild. "Zinserhöhungen der Fed haben in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich immer Gutes verheißen für jene Wachstumsaktien, die nicht auf eine boomende Wirtschaft angewiesen sind, um starke Erträge zu erwirtschaften", so Shant.

Schauen auf Unternehmen, die Alltagsprobleme lösen
Gemeint seien technologiegetriebene Unternehmen mit einzigartigen Produkten, die echte Alltagsprobleme lösen. "Natürlich haben innovativen Geschäftsfelder immer wieder Rücksetzer, aber es gibt diese Unternehmen, die ihr eigenes Wachstum schaffen, unabhängig davon, wie die Weltwirtschaft sich entwickelt", so Shant. Dazu zählen in Zeiten der Digitalisierung insbesondere Firmen aus den Bereichen Cloudservices, Direktvermarktung beziehungsweise E-Commerce, so wie digitale Gesundheits- oder Finanzanwendungen.

Selbst in den Emerging Markets, die meist unter Zinsanstiegen sehr stark leiden, finde man aussichtsreiche Unternehmen – insbesondere Fintechs, die in dysfunktionalen Staaten funktionierende Services anbieten. "Unternehmen wie Alipay haben in der vergangenen Dekade gut funktioniert, weil die chinesischen Banken die Bedürfnisse ihrer Kunden nur bedingt erfüllen und noch dazu teuer sind. Das selbe sieht man auch in Indien und anderen Schwellenländern, wo große Banken besonders ineffizient sind", so Shant.

Wenige Titel machen global den Unterschied
Es gehe darum, global die wenigen Aktien herauszufiltern, die diese konjunkturunabhängige Wachstumsstärke besitzen. "Wir glauben, eine kleine Anzahl von Unternehmen macht den Unterschied. Wir setzen deshalb auch auf ein sehr konzentriertes Portfolio", sagt Shant. Diese konzentrierten Strategien werden etwa im PGIM Jennison Global Equity Opportunities Fund oder im Emerging Markets Equity Fund umgesetzt.

Dass selbst Emerging Markets trotz der global herausfordernden Zeit kein rotes Tuch für Growth-Investoren sein sollten, könne man etwa gut am E-Commerce-Unternehmen Mercado Libre beobachten, einem südamerikanischen Amazon. Wichtigstes Land des argentinischen Portals ist Brasilien; Mexiko ist der sich am schnellsten entwickelnde Markt. In diesen Staaten hatte das Unternehmen im Jahr 2021 Steigerungen bei den Nettoeinnahmen um 78 beziehungsweise 104 Prozent. "Mercado Libre hatte in diesen Ländern trotz aller Schwierigkeiten rapides Wachstum", so Shant.

Growth und der Abschwung
Bei Growth-Strategien wählen Investoren Unternehmen, die rasch hohes Wachstum versprechen. Börsianer akzeptieren dabei extrem hohe Bewertungen, weil sie davon ausgehen, dass das Wachstum den hohen Aktienpreis bald wieder hereinspielt. Typische Wachstumstitel wie Google (Alphabet) oder Meta Platforms (Facebook-Mutter) und viele andere, erlitten heuer an den Börsen hohe Kursverluste. Beziehungsweise performten sie deutlich schlechter als Value-Aktien, wo die Anleger auf gerechtfertigte Bewertungen achten. Value-Anleger sehen zum Beispiel nur ungern Kurse deutlich über Buchwert, oder sie achten darauf, dass die Unternehmensgewinne in einer akzeptablen Zeit den bezahlten Aktienpreis wieder hereinholen. Ein Value-Investor würde etwa zweimal überlegen, ob er den sechzigfachen Kurs des realen Gewinns zahlt, so, wie man das beim Kauf der Amazon-Aktie derzeit tun müsste.

Der Grund für den jüngsten Growth-Abschwung an der Börse liegt in der Erwartung steigender Zinsen und in der damit einhergehenden Angst vor einer Konjunkturbremse. Dabei schreckt Growth-Investoren nicht nur eine Verlangsamung der Wirtschaft ab. Steigende Zinsen sind auch deshalb unbeliebt, weil sie den Wert der erhofften künftigen Gewinne schmälern, die man sich mit der Investition in hochbewertete Titel quasi teuer im Vorhinein erkauft hat. In den vergangenen Jahren – ein Umfeld mit geringem Wirtschaftswachstum und Mini-Renditen am Anleihenmarkt – galten Growth-Titel als nahezu alternativlos für Anleger, die ordentliche Wertsteigerungen sehen wollten. (eml)