Der US-amerikanische Ökonom Nouriel Roubini ist Professor an der zur New York University gehörenden "Stern School of Business" und Gründer und Vorsitzender von "Roubini Global Economics", einem Anbieter für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsinformationen. Vor seiner Tätigkeit als Professor war er Berater des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten. Lesen Sie im Anschluss seinen Original-Kommentar.


Der jüngste Wahlsieg der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen bestätigt einen aktuellen Trend in Europa: den Aufstieg des illiberalen Staatskapitalismus unter der Führung rechtspopulistischer, autoritärer Persönlichkeiten. Man kann diese Entwicklung als Putinomics in Russland, Órbanomics in Ungarn, Erdoğanomics in der Türkei oder ein Jahrzehnt der Berlusconomics in Italien bezeichnen, von denen sich das Land immer noch erholt. Zweifellos werden wir bald Kaczyńskinomics in Polen erleben.

Dabei handelt es sich in allen Fällen um Variationen des gleichen dissonanten Themas: ein nationalistischer Politiker kommt an die Macht, wenn die wirtschaftliche Misere einer chronischen säkularen Stagnation weicht. Dieser gewählte autoritäre Machthaber macht sich anschließend daran, die politischen Freiheiten durch eine strikte Kontrolle der Medien, vor allem des Fernsehens, zu beschränken. Dann verfolgt er (bisher handelte es sich ausschließlich um Männer, obwohl Marine Le Pen in Frankreich im Fall ihrer Machtübernahme sehr gut in dieses Muster passen würde) eine Agenda der Gegnerschaft gegenüber der Europäischen Union (falls das Land ein Mitglied ist) oder gegenüber anderen Institutionen supranationaler Regierungsgewalt.

Außerdem wendet er sich gegen Freihandel, Globalisierung, Einwanderung und ausländische Direktinvestitionen und begünstigt einheimische Arbeitskräfte und Firmen, insbesondere Staatsbetriebe und private Unternehmen sowie Finanzgruppen mit Verbindungen zu den Mächtigen. In manchen Fällen werden solche Regierungen von offen rassistischen und nativistischen Parteien unterstützt oder diese verleihen der Regierung einen noch stärker autoritären und antidemokratischen Charakter.

Selbstverständlich sind derartige Kräfte in den meisten Ländern Europas noch nicht an der Macht. Aber fast überall steigen ihre Beliebtheitswerte: Le Pens Nationale Front in Frankreich, Matteo Salvinis Lega Nord in Italien und Nigel Farages Unabhängigkeitspartei (UKIP) in Großbritannien betrachten Russlands illiberalen Staatskapitalismus als Vorbild und den russischen Präsidenten Wladimir Putin als Führungspersönlichkeit, die es verdient, bewundert und nachgeahmt zu werden. Auch in Deutschland, den Niederlanden, in Finnland, Dänemark, Österreich und Schweden steigt die Beliebtheit rechtspopulistischer Parteien, die sich gegen EU und Einwanderung wenden.

Tendenziell sind die meisten dieser Parteien gesellschaftspolitisch konservativ ausgerichtet. Doch deren Wirtschaftspolitik – die sich marktfeindlich und voller Angst davor präsentiert, dass liberaler Kapitalismus und Globalisierung nationale Identität und Souveränität untergraben – hat viel mit linkspopulistischen Parteien wie der Syriza in Griechenland (vor ihrer Kapitulation vor den Gläubigern), der Podemos in Spanien und der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien gemeinsam. Ebenso wie zahlreiche Anhänger radikaler Linksparteien in den 1930er Jahren eine Kehrtwende vollzogen und schließlich autoritäre Rechtsparteien unterstützten, scheinen die Wirtschaftsideologien der populistischen Parteien von heute in vielerlei Hinsicht ineinander zu fließen.

In den 1930er-Jahren führten wirtschaftliche Stagnation und Depression zum Aufstieg Hitlers in Deutschland, Mussolinis in Italien und Francos in Spanien (neben anderen autoritären Führern). Die illiberalen Spitzenpolitiker heutiger Prägung agieren politisch vielleicht noch nicht so aggressiv wie ihre Vorgänger in den 1930er Jahren, dennoch verfolgen sie einen ähnlichen Stil im Hinblick auf ökonomischen Korporatismus und Autokratie.

Die Wiederkehr des nationalistischen, nativistischen Populismus kommt nicht überraschend: wirtschaftliche Stagnation, hohe Arbeitslosigkeit, steigende Ungleichheit und Armut, Mangel an Chancen und Ängste davor, dass Migranten und Minderheiten den Einheimischen Arbeitsplätze und Einkommen "wegnehmen", haben diesen Kräften enormen Auftrieb verliehen. Der sich in vielen Ländern formierende Widerstand gegen die Globalisierung – und des damit verbundenen freieren Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Kapital, Arbeit und Technologie – kommt illiberalen Demagogen ebenfalls sehr entgegen.

Sollte die wirtschaftliche Misere chronische Ausmaße annehmen und Beschäftigung sowie Löhne nicht bald steigen, könnten populistische Parteien in vielen europäischen Ländern nach der Macht greifen. Noch schlimmer: für die Eurozone könnte es erneut gefährlich werden, wenn ein griechischer Austritt letztlich einen Dominoeffekt auslöst, der schließlich zu einem Auseinanderbrechen der Eurozone führt. Auch ein Austritt Großbritanniens könnte Auslöser eines europäischen Zerfallsprozesses sein, wobei zusätzliche Risiken bestehen, da manche Länder (Großbritannien, Spanien und Belgien) selbst Gefahr laufen, auseinanderzubrechen.

In den 1930er-Jahren sorgte die Große Depression dafür, dass in Europa und sogar in Asien autoritäre Regime an die Macht kamen. Diese Entwicklung führte schließlich zum Zweiten Weltkrieg. Der Wiederaufstieg illiberaler, staatskapitalistischer Regime sowie dazugehöriger Staats- und Regierungschefs ist allerdings weit davon entfernt, irgendwo einen Krieg auszulösen, denn in den meisten Teilen Europas befinden sich Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Regierungen an der Macht, die sich nach wie vor zu liberaler Demokratie, aufgeklärter Wirtschaftspolitik und soliden Sozialsystemen bekennen. Aber das sich mittlerweile ausbreitende Gift des Populismus könnte dennoch eine Büchse der Pandora öffnen und zu unvorhersehbaren Konsequenzen führen.

Aufgrund dieses wachsenden Illiberalismus ist es von noch entscheidenderer Bedeutung, den Zerfall der Eurozone oder der EU zu verhindern. Um das sicherzustellen bedarf es wirtschaftspolitischer Strategien auf makroökonomischer und struktureller Ebene, die die Gesamtnachfrage ebenso ankurbeln wie Arbeitsplatzschaffung und Wachstum. Darüber hinaus gilt es, die Ungleichheit in den Bereichen Einkommen und Vermögen zu reduzieren, wirtschaftliche Chancen für junge Menschen zu schaffen und Flüchtlinge sowie Wirtschaftsmigranten einzugliedern anstatt sie in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. Nur mit mutigen politischen Strategien kann es gelingen, das Abgleiten Europas in Richtung säkulare Stagnation und nationalistischen Populismus zu verhindern. Zaghaftigkeit wie man sie in den letzten fünf Jahren an den Tag legte, wird die Risiken nur vergrößern.

Wenn man jetzt nicht entschlossen handelt, wird dies letztlich dazu führen, dass der friedliche, integrierte, globalisierte, supranationale Staat EU scheitert und dystopische nationalistische Regime an die Macht kommen. Wie es an solchen Orten zugeht, ist in literarischen Werken wie  George Orwells "1984", in Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" und Michel Houellebecqs jüngstem Roman "Unterwerfung" nachzulesen. Hoffen wir, dass deren Schilderungen auf fiktive Orte in Büchern beschränkt bleiben.

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