Die Renditen von langfristigen Anleihen in den Industrieländern befinden sich seit einigen Monaten auf einem Rekordtief. Enttäuschende Wirtschaftsdaten aus den USA haben nun die Diskussion entfacht, ob den Industrieländern eine neuerliche Rezession droht. Im Vorfeld einer Rezession findet in der Regel ein Rückgang der langfristigen Renditen statt, stellen die Experten der Bank Sarasin in einer Analyse fest. Bedeutet das nun, dass die Renditen noch weiter zurückgehen werden? Oder aber hat der Anleihenmarkt mit den rekordtiefen Renditen bereits ein solches Schreckensszenario vorweggenommen?

 

Eine Antwort auf diese Frage können möglicherweise die Markterwartungen für die drei großen Einflussfaktoren auf Anleihen geben: Leitzinsen, Konjunkturumfeld, Inflationserwartungen. Sieht man sich die Markterwartung für die Entwicklung der Leitzinsen an (diese lassen sich aus Termingeschäften auf kurzfristige Zinsen ableiten), zeigt sich, dass der Markt eine Weiterführung der Nullzinspolitik in den nächsten zwölf Monaten erwartet. Seitens der Leitzinsen ist also kaum mehr Potenzial für tiefere Renditen vorhanden.

 

Ähnliches gilt für das Konjunkturumfeld. Heute befinden sich die Realzinsen - welche gewöhnlich die Erwartungen bezüglich der kommenden Konjunkturentwicklung widerspiegeln - in den Industriestaaten praktisch auf dem gleichen Niveau wie nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008. Die nachfolgende Rezession war in vielen Industriestaaten die schwerste Kontraktion der Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Realzinsen auf einem solch tiefen Niveau nehmen daher bereits eine deutliche Abkühlung der Wirtschaft, wenn nicht gar eine erneute Rezession vorweg. Auch das verspricht nur wenig Potenzial für langfristige Anleihen.

 

Anders sieht die Situation bei den Inflationserwartungen aus. Die Inflationserwartungen - welche aus den Kursen von inflationsindexierten Anleihen abgelesen werden können - liegen in den meisten Volkswirtschaften zwischen 1,5 und zwei Prozent. Wenn an einem Punkt des bevorstehenden Abschwungs Deflationsängste in den Markt kommen, können die Inflationserwartungen noch signifikant fallen. Eine deflationäre Entwicklung im Stile Japans ist zwar nicht wahrscheinlich, was aber Deflationsängste in den Finanzmärkten nicht ausschließt. Bereits nach dem Kollaps von Lehman Ende 2008 sind die Inflationserwartungen in den Industriestaaten zwischenzeitlich stark gefallen, obschon die darauf folgende Rezession zu keiner Deflation geführt hat. In diesem Falle wäre für Anleihenrenditen tatsächlich noch Potenzial nach unten vorhanden. Allerdings sind im Frühjahr 2009 die Inflationserwartungen auch rasch wieder angestiegen, nachdem klar wurde, dass die Deflation ausbleibt. Daher dürfte auch heute eine mögliche Bondrallye nur von kurzer Dauer sein.