Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit am 31. Oktober will es EZB-Chef Mario Draghi noch einmal wissen. Sein Ziel ist klar: Die schwächelnde Wirtschaft Europas wieder anzukurbeln. Dafür hat der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) auf seiner Sitzung am gestrigen Donnerstag (12.09.) ein auf unbestimmte Zeit zementiertes Zinstief beschlossen.

Der Leitzins bleibt auf dem Rekordtief von null Prozent. Außerdem erhöhte die EZB den "Strafzins", den Banken zahlen müssen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken, von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent – und damit die Wahrscheinlichkeit, dass herkömmliche Inhaber von Tagesgeldkonten über kurz oder lang ebenfalls mit Negativzinsen in Form neuer "Verwahrungsentgelte" belegt werden. Generell soll die Maßnahme die Geldinstitute dazu motivieren, mehr Kredite zu vergeben und so den Konsum und Investitionen in der Eurozone anzuschieben.

Um die teils prekäre Ertragslage vieler Geschäftbanken nicht über Gebühr zu verschärfen, hat die EZB zudem zwei weitere Maßnahmen beschlossen, um die Folgen der Negativzinsen abzufedern. Zum einen führt sie sogenannte "Staffelzinsen" ein, indem die Banken größere Freibeträge erhalten, auf die sie keine Strafzinsen zahlen müssen, berichtet die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ). Zum anderen verändert sie die Modalitäten für die bereits früher beschlossenen subventionierten langfristigen Kredite für Banken (TLTRO III). Bei den Staffelzinsen haben sich die Notenbanker für das Schweizer Modell entschieden, das einen Mittelweg im Vergleich zum dänischen Modell und zum japanischen Modell darstellt. Wie in der Schweiz wolle sich die EZB bei der Festsetzung der Freibeträge an der Mindestreserve des jeweiligen Instituts orientieren, berichtet die NZZ. Der Freibetrag werde bestimmt als ein Vielfaches der Mindestreserve-Anforderungen einer Bank. Die EZB will die Freibeträge zudem so festlegen, dass die Geldmarktzinssätze im Euro-Raum durch sie nicht übermäßig beeinflusst werden.

Geldpolitik hat ihre Grenzen erreicht
Eine "sehr expansive Geldpolitik" sei wegen umfangreicher Risiken für die Konjunktur weiterhin notwendig, begründete Draghi die Entscheidungen laut "Hamburger Abendblatt". Für Finanzexperten sind die Schritte keine große Überraschung. "Mario Draghi hat heute bei seinem letzten Auftritt als Notenbankchef die Mindesterwartungen der Marktteilnehmer erfüllt", sagt Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager beim Vermögensverwalter Euroswitsch. Ob mehr billiges Geld die Probleme der Eurozone lösen wird, hält er jedoch für fraglich.

Denn mit seinem beherzten Eingreifen nach dem Motto "whatever it takes" habe Draghi den Handlungsdruck von der Politik genommen, notwendige Reformen endlich anzugehen. "Insofern hoffen auch Politiker auf ein 'weiter so' und beschäftigen sich lieber mit sich selbst", sagt der Anlageprofi – eine Einschätzung, die auch Ulrike Kastens, Volkswirtin für Europa bei der DWS teilt. "Die Geldpolitik hat ihre Grenzen erreicht und übergibt den Staffelstab nun an die Fiskalpolitik, die dem Ruf noch zögerlich folgt", sagt die Expertin. Spätestens, wenn das Wirtschaftswachstum sich noch weiter verlangsamt, dürfte die Politik aber in der Breite reagieren.   

Wegbereiter für weitere expansive Aktionen
Für Europas Geldpolitik ist die Branche optimistisch, dass die EZB auch nach Draghi an ihrem expansiven Kurs festhalten wird. "Der EZB-Präsident hat seiner Nachfolgerin Christine Lagarde einen ganzen Koffer voller geldpolitischer Instrumente übergeben", sagt Thomas Romig, Multi-Asset-Spezialist und Geschäftsführer bei Assenagon. Damit könne die kommende EZB-Präsidentin ohne große Konflikte mit den eher zurückhaltenden Notenbankchefs in der Zukunft die EZB-Politik weiterhin expansiv gestalten.

Daniel Hartmann, Chefvolkswirt bei Bantleon, rechnet dagegen nicht zwangsläufig mit einer Fortsetzung der Politik des billigen Geldes. "Wir gehen davon aus, dass die EZB sich in den nächsten Monaten mit weiteren Lockerungsmaßnahmen zurückhält", sagt er. Der Grund: Der konjunkturelle Ausblick dürfte sich aufhellen – und damit der EZB den Wind aus den Segeln nehmen. (fp)