In Deutschlands Chefetagen herrscht Hochstimmung. Die jüngste Umfrage des Münchener Ifo-Instituts signalisiert, dass heimische Entscheider optimistisch wie selten in die eigene geschäftliche Zukunft blicken. Beobachter wie Martin Lück können sich allerdings keinen rechten Reim darauf machen, woher diese Zuversicht rührt.

Erst recht nicht in Anbetracht des ausufernden Skandals um jahrelange Täuschungsmanöver bei Dieselfahrzeugen namhafter Autohersteller: "Das Fehlverhalten der deutschen Autobauer ist eine logische Folge ihrer jahrzehntelang gepflegten Hybris, des Glaubens an die eigene technologische Überlegenheit", konstatiert der Chief Investment Strategist für Deutschland, Österreich und Osteuropa beim Asset-Management-Riesen Blackrock.

Besonders beunruhigt Lück die immer offensichtlicher werdende Unterstützung durch Bundesbehörden. "Sollte sich der Verdacht bestätigen, das Kraftfahrtbundesamt habe frühere Erkenntnisse bezüglich des Dieselskandals verschleiert, wäre nicht nur der Ruf der deutschen Automobilindustrie beschädigt, sondern es würde ein Maß an Interessenverquickung zwischen Politik und Industrie offenbar, welches man einem gut sortierten Land wie Deutschland eigentlich kaum zugetraut hätte", so der Blackrock-Vordenker.

Selbst verschuldete technologische Rückstände
Dies würde nicht nur bedeuten, dass sich Steuerzahler mit unappetitlichen Details von Vetternwirtschaft konfrontiert sehen. "Noch schwerer wiegt, dass eine Branche, die nach wie vor Hunderttausende von Arbeitsplätzen verantwortet, vor gravierenden Veränderungen steht", schwant Lück.

"Während sich die Zunft auf vermeintlich führende Dieselantriebe verließ, wurden Technologien wie Hybrid- und Elektroantrieb kampflos der japanischen und amerikanischen Konkurrenz überlassen", stellt der Blackrock-Stratege schonungslos fest. Die Quittung kommt jetzt – und auch Anleger werden zur Kasse gebeten.

Vorzeigebranche am Scheideweg....
"Die nun notwendigen Forschungs- und Entwicklungskosten dürften, in Kombination mit absehbaren Strafzahlungen, Rückrufaktionen und erzwungenen Fahrzeugrücknahmen, die Autobranche vor erhebliche Kostenprobleme stellen", prognostiziert Lück. Wegen ihres Gewichts dürften die Automobilunternehmen auf Sicht die deutschen Indizes mit nach unten ziehen – allen voran das Leitbarometer Dax.

Denn obwohl ihre Anteilscheine teilweise bereits nachgegeben haben, kommt die PS-Branche mit den Aktien von BMW, Daimler und Volkswagen sowie unter Einrechnung des Zulieferers Continental immerhin noch auf einen addierten Börsenwert von 180 Milliarden Euro, was einem Anteil von knapp 17 Prozent an der Gesamt-Marktkapitalisierung des deutschen Prestigebarometers ausmacht.

....Vorzeigeindex ebenso
Noch deutlicher wird das Drohpotenzial beim Blick auf die Fundamentaldaten: Berechnungen der Commerzbank zufolge vereint das "Auto-Quartett" rund 43 Prozent der zuletzt erzielten Jahresumsätze der 30 Dax-Mitgliedskonzerne. Bezogen auf den ausgewiesenen Gewinn von 2016 sind es 33 Prozent, und gemessen an der Ausschüttungssumme zeichnet die einstige Vorzeigebranche für 26 Prozent der überwiesenen Dividenden verantwortlich.

Commerzbank-Chefanlagestratege Andreas Hürkamp hat jüngst vorgerechnet, wo der Dax heute stünde, wenn es die Verfehlungen um "Dieselgate" nie gegeben und sich die Autoaktien ebenso entwickelt hätten wie der Leitindex. Antwort: bei 13.500 statt wie derzeit bei etwas mehr als 12.000 Zählern.

Doch derlei Gedankenspiele helfen Investoren nicht wirklich weiter. "Anleger sollten die positiven Nachrichten, die derzeit von der deutschen Berichtssaison zum zweiten Quartal ausgehen, nicht überbewerten. Denn die Kostenrisiken für deutsche Autohersteller erscheinen derzeit nicht voll eingepreist", mahnt Lück abschließend. (ps)