Dem Analysehaus Sentix zufolge blicken viele Investoren zu optimistisch in die Zukunft. Die Erwartung einer milden Rezession im kommenden Jahr und die Hoffnung auf einen Wechsel in der Notenbankpolitik würden sich wohl nicht erfüllen, schreibt das Team um Sentix-Geschäftsführer Patrick Hussy in seinem soeben erschienenen Marktausblick.

Das Umfeld für Konjunktur und Kapitalmärkte bleibe "anhaltend schwierig", so die Überzeugung der Analysten, die sich auf Behavorial Finance spezialisiert haben. "Die Inflation sollte hoch bleiben, Zinsen und Volatilität weiter ansteigen", heißt es in einer Pressemitteilung zum Marktausblick. "Ob Fachkräfte, Energiebedarf, Öffnungszeiten, Umsätze oder auch Liquidität – der Mangel wird in 2023 zum stetigen Begleiter." Das Fazit von Sentix-Chefstratege Manfred Hübner: "Die Liste der Mängel nimmt am Ende auch die Märkte in die Mangel."

Den Frankfurter Kapitalmarktkennern zufolge werden die Länge und das Ausmaß der Rezession unterschätzt. In den vergangenen beiden Monaten hätten sich die Konjunkturerwartungen zwar aufgehellt. In den Geldmengenaggregaten sei jedoch noch keine Trendwende zu erkennen – und normalerweise sei dies als Vorbote zwingend nötig. "Daher gehen wir nicht von einer nachhaltigen Gesundung aus", sagt Hussy. "Die milde Rezession stellt eher ein Wunschdenken dar, vielmehr sind deutliche Revisionen im Wachstum und bei den Unternehmensgewinnen nach unten zu erwarten."

Schlechte Aussichten für US-Aktien
Das hat auch Konsequenzen für die Wall Street und andere Aktienmärkte. Normalerweise stehe 2023 als Vorwahljahr in den Vereinigten Staaten unter einem "guten Börsenstern", so Sentix. Die traditionelle Unterstützung aus dem US-Präsidentschaftszyklus dürfte dem S&P 500 dieses Mal jedoch versagt bleiben: "Steigende Zinsen, eine anhaltend hohe Inflation sowie restriktive Notenbanken treffen auf ambitioniert bewertete US-Aktienmärkte."

Sentix zufolge sollte schon relativ früh im Jahr deutlich werden, dass die Anleger im vierten Quartal 2022 Aktienquoten aufgebaut haben, ohne von diesen Investments wirklich überzeugt zu sein. Das Vertrauen fehle, bald stehe ein "Charaktertest" an. "Der S&P 500 sollte bis Mitte März die Marke von 3.500 Punkte ansteuern. Für viele Investoren werden dann schon die Jahresprognosen zu revidieren sein", schreibt das Team um Hussy. Aktuell notiert der US-Leitindex bei rund 4.000 Zählern.

Ausverkauf an der Börse erwartet
Für die frühen Sommermonate rechnet Sentix damit, dass die Hoffnung auf ein Ende des inflationären Umfeldes die Aktienkurse etwas steigen lässt – aber nur temporär: "Die Konjunkturschwäche hält sich hartnäckiger als gedacht und die Unternehmen berichten nun von sinkenden Gewinnmargen."

Ab Sommer komme die schlechte Energieversorgungslage für den anstehenden Winter erneut in den Fokus. Auch der Abbau der Notenbankbilanzen schmerze die Anleger: Die Renditen am Rentenmarkt würden deutlich steigen, Anleihen rückten als echte Alternative zur Aktienanlage in den Blickpunkt. Für den Spätsommer erwartet Sentix daher einen Ausverkauf am Aktienmarkt, der dann den Boden für eine Erholung im vierten Quartal bereite. "Am Ende bleiben für den amerikanischen Aktienmarkt auch im Jahr 2023 dicke Minuszeichen", meinen Hussy und seine Kollegen.

Für den deutschen und den europäischen Aktienmarkt sehe es nicht viel besser aus. "Die Energieversorgungsprobleme wirken sich hier viel dramatischer aus und sind auch der Grund, warum im Herbst massive Ängste vor einer größeren Gasmangellage bestehen", heißt es in der Mitteilung. "Die Kernkraftwerke werden im April abgestellt sein, und ohne Gas aus Russland wird es auch für den Dax verdammt eng. Ein Dax-Tief bei 10.000 Punkten ist in diesem Zuge möglich." Zuletzt stand der Dax bei gut 14.400 Zählern. (bm)