Eigentlich sind die aktuell niedrigen Rohstoffpreise ein Konsum- und Konjunkturmotor. Doch die Europäische Zentralbank (EZB) folgt mit ihrer Politik der genau gegenteiligen Argumentation. Das kritisiert Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank. "Die EZB folgt einem falschen Credo: Nämlich, dass die niedrigen Rohstoffpreise für die Weltwirtschaft schlecht sind", konstatiert Lang: "Damit stellt sie die klassische Wirkungslogik auf den Kopf."  Schließlich wirken niedrige Energiepreise nach Aussagen des Ökonomen wie ein Wachstumsprogramm, können doch Unternehmen günstiger produzieren und Verbraucher dank gesunkener Benzin- und Heizkosten mehr Geld in den Konsum stecken. Lang fragt sich: "Das kurbelt die Konjunktur an – wozu bräuchte man dann noch Zinssenkungen?"

Verschärfte Minuszinsen in Sicht
Dennoch geht er davon aus, dass die EZB im März oder spätestens im Mai die Zinsen nochmals deutlich senkt: "Wir rechnen spätestens ab dem Frühsommer mit verschärften Minuszinsen. Der Einlagezinssatz dürfte weiter gesenkt und das Anleiheankaufprogramm erhöht werden." Das sei zu erwarten, da sich die "Realitätsverweigerer im EZB-Rat" weiter positionieren: "Das sind diejenigen, die trotz der aktuellen Situation an den Rohstoffmärkten für weitere geldpolitische Maßnahmen plädieren."

Helfen werde all das angesichts der aktuellen Lage wenig. So dürfte die Inflation auch durch weitere geldpolitische Schritte kaum in Richtung der angestrebten Zielmarke steigen. Die Preise im Euro-Raum waren im Dezember 2015 nur um 0,2 Prozent gestiegen. Optimal für die Konjunkturentwicklung gilt ein Wert von knapp zwei Prozent. Mit genau diesem Ziel war auch die EZB vor einem Jahr angetreten, als sie ihr umfangreiches Anleiheankaufprogramm startete. "Grundsätzlich wird die Wirkung einer Medizin mit zunehmender Dosis nicht besser", sagt Lang.

EZB verschießt ihr Pulver
Lang geht also davon aus, dass neuerliche Zinssenkungen verpuffen werden. Und noch mehr: Zudem verschießt die EZB ihr Pulver, sollte die Konjunktur in den kommenden Monaten schwächeln: "Am Ende stellt sich die Frage, was der EZB noch bleibt, wenn wider Erwarten auch das Wachstum in der Eurozone im Jahresverlauf spürbar nachlässt?" (fp)